Entscheidungsstichwort (Thema)
Teleologische Reduktion des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO bei leichtfertiger Steuerverkürzung ohne Abschlusszahlung
Leitsatz (redaktionell)
Die auf fünf Jahre verlängerte Festsetzungsfrist bei leichtfertiger Steuerverkürzung gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 378 AO kommt aufgrund teleologischer Reduktion des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO dann nicht zu Anwendung, wenn sich trotz einer höheren Steuerfestsetzung aufgrund anrechenbarer Steuern (Anrechnung von Zinsabschlagsteuer) keine Abschlusszahlung für den Fiskus ergibt.
Normenkette
AO §§ 173, 378, 169
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Änderbarkeit des Einkommensteuerbescheides 2007 wegen nachträglich festgestellter Kapitaleinkünfte.
Die Kläger sind Eheleute und wurden 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Bis einschließlich 2010 war der Kläger Alleingesellschafter der G. … GmbH (G GmbH). Dort war er auch als Geschäftsführer tätig. Im Rahmen einer Betriebsaufspaltung vermietete der Kläger den …-betrieb an die G GmbH.
Die Klägerin ist von Beruf kaufmännische Angestellte.
In der Einkommensteuererklärung 2007 vom 4.5.2009 erklärten sie –unter Beifügung der Jahressteuerbescheinigungen– folgende Einnahmen aus Kapitalvermögen (Beträge in €):
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Kläger |
Klägerin |
Anzurechnender Zinsabschlag |
Inländische Kapitalerträge |
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Guthaben/Einlagen |
411,00 |
830,00 |
357,73 |
Bausparguthaben |
52,00 |
41,00 |
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Verzinsliche Wertpapiere |
963,00 |
962,00 |
221,10 |
Investmentanteile |
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209,00 |
54,44 |
Dividenden u.ä. |
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Aktien u. andere Anleihen |
126,00 |
36,00 |
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Investmentanteile |
424,00 |
539,00 |
19,30 |
Ausländische Kapitalerträge |
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Sparzinsen |
2,00 |
2,00 |
1,36 |
Dividenden u.ä. |
29,00 |
29,00 |
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Von diesen Werten ging auch der Beklagte (das Finanzamt –FA–) bei der Einkommensteuerveranlagung 2007 aus, die in Bestandskraft erwuchs.
Im Rahmen der Bearbeitung der Steuererklärung 2013 fiel auf, dass in den Jahren 2007 bis 2011 Kapitalerträge bei der Stadtsparkasse S. in den Einkommensteuererklärungen nicht deklariert worden waren. Im Einzelnen handelte es sich für das Jahr 2007 um folgende Positionen (Beträge in €):
2007 |
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Kläger |
|
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38312088 |
Spareinlagen |
529,14 |
30140081 |
Spareinlagen |
122,07 |
38327508 |
Spareinlagen |
0,01 |
28155430 |
Spar-Brief |
668,89 |
Klägerin |
|
|
28154912 |
Spar-Brief |
175,52 |
38317590 |
Spareinlagen |
7,08 |
28155190 |
Spar-Brief |
356,43 |
28155000 |
Spar-Brief |
457,65 |
Diese Werte teilten die Kläger dem FA im Rahmen einer berichtigten Steuererklärung mit und legten die entsprechenden Steuerbescheinigungen vor. Das FA stellte sich auf den Standpunkt, es liege jedenfalls eine leichtfertige Steuerverkürzung vor, so dass die Einkommensteuerbescheide aller Jahre, insbesondere auch der streitgegenständliche Einkommensteuerbescheid 2007 geändert werden könnten. Die Festsetzungsverjährung stehe dem nicht entgegen.
Gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) erließ das FA am 3.11.2014 u.a. für das Jahr 2007 einen geänderten Einkommensteuerbescheid. Obwohl sich die festgesetzte Einkommensteuer von 4.654,00 € auf 5.284,00 € erhöhte, verminderte sich der abzurechnende Betrag von 277,00 € auf 247,00 €. Der Grund hierfür liegt in der Erhöhung des Zinsabschlags um 660,00 € auf 1.295,00 €. Durch die erst jetzt vorgelegten Zinsbescheinigung der Stadtsparkasse S. hatten die Kläger nachgewiesen, dass für den Kläger Zinsabschlagsteuer in Höhe von 363,03 € und für die Klägerin Zinsabschlagsteuer in Höhe von 296,89 € einbehalten worden war. Die sich ergebende Überzahlung von 30,00 € verrechnete das FA in Höhe von 24,53 € mit dem Solidaritätszuschlag, hinsichtlich dessen dadurch keine Zahllast mehr verblieb, und in Höhe von 5,47 € mit der evangelischen Kirchensteuer, so dass sich die Zahllast hier von 51,30 € auf 45,83 € verringerte.
Der gegen den Änderungsbescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Mit der nunmehr erhobenen Klage verfolgen die Kläger das Ziel der Aufhebung des Änderungsbescheides weiter. Sie vertreten die Auffassung, die Änderung der Einkommensteuerbescheides 2007 sei wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung ausgeschlossen. Eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung wegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung scheide aus. Im Änderungsbescheid 2007 komme es aufgrund der einbehaltenen Quellensteuern zu einer Einkommensteuererstattung. Bereits deshalb könne keine Steuerverkürzung gegeben sein. Da mit der berichtigten Steuererklärung auch die Steuerbescheinigungen vorgelegt worden seien, seien die rechtlichen Voraussetzungen für eine Steueranrechnung erfüllt. Für die Frage der Änderbarkeit könne es allein auf die heute vorliegenden Unterlagen ankommen.
Entgegen der Auffassung des FA könne die Kirchensteuer in die Betrachtung nicht einbezogen werden, da deren Verkürzung nicht möglich sei. In § 8 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen (Kirchensteuergesetz –KiStG–) komme hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass eine Verkürzung von Kirchensteuer ausgeschlossen sein solle. Die Annexsteuern dürften keine Rolle spielen, weil die Änderung ihrer Festsetzung vielmehr e...