Entscheidungsstichwort (Thema)
Inanspruchnahme als Haftungsschuldner; faktische Geschäftsführung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach Überzeugung des erkennenden Senats hat der Stpfl. vorsätzlich seine Pflichten zur Abgabe der streitigen Umsatzsteuererklärungen verletzt. Er hat bewusst geschäftlich unerfahrene Dritte als formelle Geschäftsführer installiert in der Absicht, sich so seinen steuerlichen Pflichten zu entziehen.
2. Die Voraussetzungen des § 35 AO sind erfüllt, wenn eine Person nach außen hin so auftritt, als könne sie umfassend über fremdes Vermögen verfügen und sie faktisch die Aufgaben eines Geschäftsführers wahrnimmt. Zur Überzeugung des Senats ist durch eine Vielzahl von Umständen belegt, dass der Stpfl. faktischer Geschäftsführer gewesen ist.
Normenkette
AO §§ 35, 69
Tatbestand
Streitig ist, ob ein gegen den Kläger ergangener Haftungsbescheid für Umsatzsteuerschulden der V. UG rechtmäßig ist.
Die V. UG wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 00.06.2012 gegründet und am 00.08.2012 ins Handelsregister eingetragen (Amtsgericht E., HRB xxx, Bl. 1 KÖ-Akte). Gegenstand des Unternehmens war die „Übernahme von Dienstleistungen aller Art im Transportgewerbe und die Durchführung von Transporten”. Die Aufträge (Kleintransporte im Paketdienst) erhielt die V. UG von der Firma W-GmbH, die der V. UG auch die Fahrzeuge vermietete. Alleingesellschafter der W-GmbH und zeitweise auch ihr Geschäftsführer war der Kläger. Die von der V. UG an die W-GmbH erbrachten Kurierdienstfahrten wurden in der Regel im Gutschriftswege, teilweise aber auch per Rechnung abgerechnet. Alleinige Gesellschafterin der V. UG war zunächst Frau C. O. und ab dem 04.04.2013 Herr B. G.. Jeweils alleinige/r Geschäftsführer/in war bis zum 21.09.2012 Frau C. O., bis zum 08.04.2013 Herr V. X. und bis zur Auflösung der Gesellschaft Frau E. G. (Eintragung ins Handelsregister: 29.09.2014). In der Zeit vom 03.07.2012 bis zum 18.12.2013 unterhielt die Gesellschaft ein Geschäftskonto bei der Bank B1, verfügungsberechtigt über dieses Konto waren Frau C. O. und der Kläger (Bl. 283 f. der Akte USST V. UG). Ab dem 12.11.2013 unterhielt die V. UG ein Geschäftskonto bei der Bank B2, einzelverfügungsbefugt über dieses Konto war Frau E. G. (Bl. 180 der Akte USST V. UG). Durch Beschluss des Amtsgerichts E vom 22.08.2014 ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse abgelehnt worden.
Für die V. UG sind keine Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2012-2014 abgegeben worden. Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung hat der Beklagte die Umsätze anhand der vorgefundenen Rechnungen sowie der Geldzuflüsse auf den betrieblichen Konten bei der Bank B1 und der Bank B2 ermittelt (siehe Anlage 1 zum Bericht über die Umsatzsteuersonderprüfung vom 29.05.2015, Bl. 20 der BP-Akte). Die von der Umsatzsteuersonderprüfung getroffenen Feststellungen hat der Beklagte in den nicht angegriffenen Umsatzsteuerjahresbescheiden für die Jahre 2012-2014 zugrunde gelegt (siehe Umsatzsteuerakte der V. UG Band I; Bl. 21 ff. der BP-Akte). Nach Prüfung des Falles durch die Steuerfahndung C ist der Umsatzsteuerbescheid 2012 zu Lasten der V. UG dahingehend geändert worden, dass die Vorsteuer in 2012 um 844,44 € gekürzt worden ist (Bericht der Steuerfahndung C vom 21.04.2016, Bl. 25 ff. der BP-Akte, Bl. 4 der Umsatzsteuerakte, Ziff. 10). Im Übrigen sind die Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung unbeanstandet geblieben (Bericht der Steuerfahndung C vom 21.04.2016, Bl. 25 ff. der BP-Akte, Bl. 4 der Umsatzsteuerakte, Ziff. 9).
Nachdem die Umsatzsteuerschulden bei der V. UG nicht beigetrieben werden konnten, erließ der Beklagte gegen Frau E. G. einen Haftungsbescheid vom 07.04.2014 für die Steuerschulden der V. UG wegen Umsatzsteuer und Nebenleistungen in Höhe von 47.393,50 € für den Haftungszeitraum 10.11.2013 bis 07.04.2014 (Bl. 32 der Haftungsakte E. G.). Ebenfalls am 07.04.2014 erging ein weiterer Haftungsbescheid gegen Frau E. G. (Bl. 36 ff. der Haftungsakte E. G.) für die Steuerschulden der V. UG wegen Lohnsteuer und Nebenleistungen in Höhe von 5.401,25 €. Die Haftungsschulden der Frau E. G. konnten nicht beigetrieben werden. Im Rahmen einer erneuten Haftungsprüfung nach durchgeführter Umsatzsteuersonderprüfung stellte der Beklagte Überlegungen zur Inanspruchnahme weiterer Haftungsschuldner an. Auf den hierzu gefertigten Aktenvermerk vom 28.10.2015 wird Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 46 f.).
Mit Haftungsbescheid vom 03.12.2015 (Bl. 54 der Haftungsakte) nahm der Beklagte den Kläger für den Haftungszeitraum 10.08.2012 bis 28.02.2014 (Zeitpunkt der Gewerbeabmeldung) mit einer Haftungssumme in Höhe von 117.688,35 € für die Steuerschulden (Umsatzsteuer, Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer und Zinsen zur Umsatzsteuer, vgl. die Aufstellung Bl. 8 KÖ-Akte) der V. UG gem. §§ 191, 69, 35 Abgabenordnung (AO) in Anspruch. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass der Kläger faktischer Geschäftsführer der V. UG gewesen sei und in dieser Funktion die steuerlichen Pfl...