Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzungsbefugnis bei Verletzung von Nachweispflichten auch bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. zu den Voraussetzungen einer sachgerechten Schätzung nach der sog. 30:70-Methode bei Gaststättenumsätzen
Leitsatz (amtlich)
zu 1.) Auch die vereinfachte Gewinnermittlungsart nach § 4 Abs. 3 EStG verlangt vom Steuerpflichtigen die korrekte und leicht nachprüfbare Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle. Die Verletzung dieser Nachweispflicht führt zur Schätzungsbefugnis.
zu 2.) Auch, wenn die Schätzung von Gaststättenumsätzen nach den Verhältniszahlen von 30 v.H. für Getränkeumsätze zu 70 v.H. für Speisenumsätze (sog. 30:70-Methode) in der Prüfungspraxis eine Berechtigung hat, so verlangt eine sachgerechte Schätzung dennoch, dass den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen der Gaststätte Rechnung getragen wird. Allein ein entsprechendes Verhältnis der Verkaufspreise laut Speisekarte genügt nicht.
Normenkette
AO § 162; EStG § 4 Abs. 3; UStG § 22
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt zu Recht aufgrund der Schätzungsergebnisse einer Fahndungsprüfung die Umsatzsteuerfestsetzungen geändert hat.
Die Klägerin ist 50 Jahre alt und ledig. Ihre im Jahre 1997 geborene Tochter erzieht sie allein.
Sie erwarb in den Jahren 1991 bis 1994 in B, C und D Immobilien, die sie teilweise zu Wohnzwecken, teilweise zu Gewerbezwecken vermietete. Seit 1993 betreibt sie in B Gaststätten. In den Streitjahren führte sie in der X Strasse ein Restaurant mit italienischer (5), teilweise auch mit indischer (6) Küche. In dem Lokal fanden maximal 40 Personen Platz. Die Einrichtung bestand aus sechs Tischen und einer Bar. Die Klägerin war allein für die Küche und für den Service zuständig. Gelegentlich half ihr eine Aushilfsbedienung. In dem Lokal hielt sich auch die Tochter der Klägerin auf.
Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ermittelte sie durch Berechnung des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten, die gewerblichen Einkünfte ermittelte sie gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben. Für die Umsatzsteuer die Streitjahre betreffend, die sie nach vereinbarten Entgelten berechnete (§ 16 Abs. 1 UStG), erklärte sie folgende Besteuerungsgrundlagen:
VZ |
2003 |
2004 |
2005 |
Erklärung vom |
03.06.2005 |
16.12.2005 |
26.03.2007 |
|
EUR |
EUR |
EUR |
Steuerfreie Umsätze |
|
|
|
|
101.949 |
123.668 |
146.020 |
1 16% |
24.910 |
21.474 |
25.769 |
2 16% |
21.726 |
8.085 |
(steuerfrei) |
3 16% |
8.589 |
8.589 |
8.589 |
6 16% und |
|
|
|
5 16% |
12.845 |
16.017 |
13.313 |
6 7% und |
|
|
|
5 7% |
65.975 |
74.458 |
62.589 |
Vorsteuern insg. |
5.507,65 |
8.314,81 |
9.729,95 |
USt insg. |
10.002,10 |
5.563,65 |
2.278,64 |
Das Finanzamt fasste die einzelnen Umsatzsteuererklärungen zusammen und setzte die Umsatzsteuern jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) wie folgt fest:
VZ |
2003 |
2004 |
2005 |
Bescheid vom |
16.06.2005 |
03.01.2006 |
12.04.2007 (Mitteilung) |
|
EUR |
EUR |
EUR |
Steuerfreie Umsätze |
101.950 |
123.668 |
146.020 |
Umsätze 16% |
68.071 |
54.165 |
47.671 |
Umsätze 7% |
65.975 |
74.458 |
62.589 |
Vorsteuerbeträge |
5.507,65 |
8.314,81 |
9.729,95 |
Umsatzsteuer |
10.001,96 |
5.563,65 |
2.278,64 |
Die Steuerfestsetzungen wurden jeweils bestandskräftig.
Wegen Abweichungen der in den Gewinnermittlungen dargestellten Umsätze von den Umsätzen laut den Umsatzsteuererklärungen, wegen Fragen zur privaten Kfz- und Telefonnutzung und weiterer ertragsteuerlicher Fragestellungen wurde der Steuerfall zur Betriebsprüfung gemeldet. Mit dem Bescheid vom 20.04.2007 ordnete das Finanzamt bei der Klägerin eine steuerliche Außenprüfung (§ 193 Abs. 1 AO) für die Zeiträume 2003 bis 2005 auch die Umsatzsteuer betreffend an.
Nachdem die Betriebsprüferin Mängel bei den Aufzeichnungspflichten und Kalkulationsunstimmigkeiten festgestellt hatte, wurde die Außenprüfung von der Steuerfahndung im Rahmen steuerstrafrechtlicher Ermittlungen ab 10.10.2007 weitergeführt. Auch der Fahndungsprüfer fand formelle und materielle Mängel der Buchführung vor. Die mit der Registrierkasse erfassten Umsätze waren nicht vollständig überprüfbar, weil lediglich Kellnerberichte ohne fortlaufende Nummern vorlagen. Tagesendsummenbons zum Abgleich der Tageseinnahmen wurden nicht aufgefunden. Zudem war eine korrekte Trennung der Restaurantumsätze von den Umsätzen aus dem Straßenverkauf nicht vorgenommen worden. In geringem Umfang waren auch Wareneinkaufsrechnungen nicht gebucht worden. Bei kalkulatorischen Überprüfungen der betrieblichen Daten wurden erhebliche Abweichungen beim Getränkeverkauf, beim Pizzaumsatz und bei den Umsätzen aus dem Verkauf von Pizzaschachteln (Gastrobedarf) festgestellt.
Eine Getränkekalkulation auf der Grundlage der gebuchten Eingangsrechnungen und der Verkaufspreise ergab bereits deutlich höhere Umsätze als die Klägerin für Gaststättenumsätze zum Normalsteuersatz erklärt hatte. Der Prüfer ging davon aus, dass in der Gaststätte der Klägerin der Getränkeumsatz zu 30 % und der Speiseumsatz zu 70 % anzusetzen sei und rechnete auf diese Weise den gesamten Gaststättenumsa...