Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung des Vorsteuerabzugs wegen Steuerhinterziehung des ursprünglichen Verkäufers
Leitsatz (redaktionell)
1. Dem zweiten Erwerber eines Gegenstands kann der Vorsteuerabzug versagt werden, weil er von einer vom ursprünglichen Verkäufer bei der ersten Veräußerung begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, obwohl auch der erste Verkäufer Kenntnis von dieser Hinterziehung hatte (vgl. EuGH C-596/21 vom 24.11.2022).
2. Dem zweiten Erwerber eines Gegenstands, mit dem auf einer Umsatzstufe vor diesem Erwerb ein betrügerischer Umsatz bewirkt wurde, der nur einen Teil der Mehrwertsteuer betraf, die der Staat erheben darf, ist das Recht auf Vorsteuerabzug vollständig zu versagen ist, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass der Erwerb mit einer Steuerhinterziehung in Zusammenhang stand (vgl. EuGH C-596/21 vom 24.11.2022).
Normenkette
UStG § 3 Abs. 3, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sätze 1-2; MwStSystRL Art. 167-168
Tatbestand
Streitig ist der Vorsteuerabzug aus den Aufwendungen für den Erwerb eines Audi R 8.
Der Kläger handelte im Streitjahr 2011 mit Motorradteilen und -zubehör. Auf der Suche nach einem neuen Geschäftswagen nahm er über ein Internetportal Kontakt mit einem Anbieter auf, der sich als W, Inhaber eines größeren Bauunternehmens in C-Stadt, vorstellte. Der Kläger telefonierte mit seinem Geschäftspartner und traf sich mit diesem an einer Adresse in D-Stadt, die die Wohnadresse des W sein sollte. Bei diesem Treffen fuhr der Kläger das Fahrzeug Probe, er ließ sich jedoch weder einen Ausweis seines Geschäftspartners zeigen, noch prüfte er, ob sich der Name an Hausklingel oder Briefkasten des Treffpunkts fand. Am Folgetag bestätigte er telefonisch den Kauf und vereinbarte mit dem Geschäftspartner, Fahrzeug und Fahrzeugbrief Zug um Zug gegen Barzahlung am 22.03.2011 zu übergeben. Bei der bereits vor dem 22.03.2011 stattgefundenen Übergabe in D-Stadt stellte der Kläger fest, dass im Fahrzeugbrief nicht B als Halter eingetragen war. Er erhielt eine Rechnung über 64.705,88 € zuzüglich 12.294,12 € Umsatzsteuer, die auf den 22.03.2011 ausgestellt war, und auf der sein Geschäftspartner in großen Druckbuchstaben und mit einer nur teilweise leserlichen Unterschrift den Erhalt des Betrags quittierte. Diese Rechnung war auf W, in C-Stadt ausgestellt. Am 09.03.2011 meldete der Kläger den Audi auf seinen Namen an.
Tatsächlich hatte der Kläger nicht mit W, sondern mit C verhandelt, der das Fahrzeug 2010 auf eigene Rechnung von einem Dritten erworben hatte, aber beim Verkauf unter dem Namen des W auftrat. W betrieb kein größeres Bauunternehmen, sondern einen Internethandel mit Kraftfahrzeugteilen. Er war damit einverstanden, dass C im Streitfall unter seinem Namen auftrat und erstellte nach den Vorgaben des C eine Rechnung, die ihn selbst als Verkäufer auswies. Den Kaufpreis erhielt C. W berücksichtigte den Vorgang in seiner Umsatzsteuervoranmeldung für März 2011 überhaupt nicht, C lediglich eine Lieferung an W für 52.100,84 € zuzüglich 9.899,16 € Umsatzsteuer (62.000 € brutto), für die er W auch eine Rechnung stellte.
Der Kläger gab für 2011 eine Umsatzsteuererklärung ab, in der er die Vorsteuer aus der Rechnung für den Pkw berücksichtigte und aus der sich ein Erstattungsanspruch ergab. Der Beklagte stimmte der Umsatzsteuererklärung zu. Im Jahr 2016 begann beim Kläger eine Außenprüfung, während der die Finanzbehörden durch eine Kontrollmitteilung von den Umständen des Erwerbs des Audi R 8 erfuhren. Im Prüfungsbericht vom 02.12.2016 versagte der Beklagte den Vorsteuerabzug aus dem Kauf des Audi R 8 in Höhe von 12.294,12 € unter Hinweis darauf, dass keine ordnungsgemäße Rechnung nach § 15 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG vorgelegen hätte.
Am 02.01.2017 erließ das Finanzamt einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 2011, in dem es neben anderen, unstrittigen Änderungen (Herabsetzung der unentgeltlichen Wertabgabe wegen fehlenden Vorsteuerabzugs in Höhe von ./.8.640 € für die private Kfz-Nutzung des Audi R 8 und Ansatz einer unentgeltlichen Wertabgabe für den Mitsubishi Eclipse in Höhe von 2.285 €, saldiert ./.6.355 €), den Abzug der Vorsteuer für den Erwerb des Pkw in Höhe von 12.294,12 € ablehnte, und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die Umsatzsteuer für 2011 wurde auf 82.771,91 € festgesetzt.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Er begründete den Einspruch damit, dass er weder wusste noch für ihn erkennbar gewesen sei, dass er tatsächlich nicht mit W, sondern mit C verhandelt habe und dass keiner der beiden die Veräußerung des Wagens in seiner Steuererklärung berücksichtigen würde.
Mit Einspruchsentscheidung vom 12.02.2020 wies das Finanzamt den Einspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, der Kläger dürfe das Recht auf Vorsteuerabzug aus den Aufwendungen für den Erwerb des Pkw nicht ausüben, weil er nicht über eine ordnungsgemäße Rechnung verfüge, da nicht W, sondern C den Wagen geliefert hätte. Außerdem sei das Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen, weil der...