Versagung des Vorsteuerabzugs bei Bösgläubigkeit des Erwerbers
Das Hessische FG hat entschieden: Wusste der Erwerber oder hätte er wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an Lieferungen mit Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, ist der Erwerber als ein an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen. Insoweit kann das Finanzamt vom Erwerber aber nicht generell eine Prüfung verlangen, ob der Rechnungsaussteller Unternehmer ist, der die fraglichen Gegenstände liefern konnte und seinen Verpflichtungen zur Abführung der Umsatzsteuer nachgekommen ist. Trotz hinreichender Überprüfung zu Beginn der Geschäftsbeziehungen kann das spätere Anbieten von Mehrfachdurchläufen ab diesem Zeitpunkt die Bösgläubigkeit des Erwerbers begründen.
Betrügerisches Umsatzkarussell
Worum ging es in dem Fall? Die antragstellende Großhändlerin handelte seit April 2019 in großem Umfang erstmals mit der Marke D, die sie seit September 2019 vornehmlich von dem Lieferanten E kaufte. Mit dem Verkauf der Ware an D ins Ausland tätigt die Antragstellerin steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen. Dies führt für die Antragstellerin zu hohen Vorsteuerüberschüssen aus den Rechnungen der E. Das Finanzamt verweigerte die Auszahlung der Vorsteuerüberschüsse, da die Antragstellerin in ein betrügerisches Umsatzsteuerkarussell mit D eingebunden sei (§ 25 f UStG).
Keine Auszahlung der Vorsteuern
Nach Auffassung des FG ist der Antrag der Antragstellerin auf Auszahlung der Vorsteuern unbegründet. Der Vorsteuerabzug ist zu versagen, sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder andere Beteiligte auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs im Sinne des § 25 f UStG einbezogen waren. § 25 f UStG setzt die Rechtsprechung des EuGH zur Versagung des Vorsteuerabzugs in Fällen des Umsatzsteuerbetrugs insbesondere in Form von Ketten- oder Karussellgeschäften um. Trifft jedoch der Unternehmer alle Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen sind, darf ihm der Vorsteuerabzug nicht versagt werden, siehe zuletzt EuGH Urteil vom 14.04.2021 - C-108/20 (Finanzamt Wilmersdorf).
Liegen Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung vor, kann ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Leistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen siehe auch EuGH Urteil vom 22.10.2015 - C-277/14 (PPUH Stehcemp). Die Finanzbehörden können jedoch von dem den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmer nicht generell verlangen zu prüfen, ob der Aussteller der maßgeblichen Rechnung Unternehmer ist, ob er die fraglichen Gegenstände liefern konnte und ob er seinen umsatzsteuerlichen Pflichten beim Finanzamt nachgekommen ist. Die Feststellungslast für die Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers trägt die Finanzbehörde.
Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer ist nicht verpflichtet, einen echten "Negativbeweis" dahingehend zu führen, dass er keine Anhaltspunkte für etwaige Ungereimtheiten in Bezug auf den Leistenden oder die Leistung hatte.
Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung
Bei Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutzantrag lagen glaubhaft hinreichend objektive Umstände dafür vor, dass die E offenbar bereits seit Beginn der Geschäftsbeziehungen zur Antragstellerin an umsatzsteuerlichen Betrugsketten im Handel mit D beteiligt war. In diese war die Antragstellerin mit ihrem Leistungsbezug von E eingebunden. Dies hätte der Geschäftsführer der Antragstellerin wissen müssen. So verzeichnete die L, die "Vorlieferantin" von E, nach bisher eher unauffälligen Umsätzen im 4. Quartal 2019 plötzlich sehr hohe Umsätze. Gleichzeitig stellte sie von einem Monat auf den anderen ihre Handelsgeschäfte in einem großen Umfang auf den damaligen marktunerfahrenen Brancheneuling E um. Auch die festgestellten Liefer- und Zahlungsmodalitäten sind ein für betrügerische Lieferketten typisch. So lieferte L die Ware mit Zahlungsziel an die E. Auch musste die E die Ware nicht Zug um Zug, sondern erst nach Eingang der Zahlungen ihrer Abnehmer bezahlen, ohne dass jegliche Sicherheiten zu stellen waren.
Ein weiteres Merkmal für eine betrügerische Lieferkette ist die "Preisgestaltung" für den Handel mit den D. Hier hat die L für den Weiterverkauf einen Preisaufschlag von 3 bis 5 % vorgeschlagen. Letztendlich ist gerade die Ausgestaltung der Warentransporte (Einsatz eines Logistikunternehmens, bei dem die Ware gelagert wurde; Durchreichen der Ware von L über E an deren Abnehmer aufgrund von Freigaben nach Zahlungseingang; Zahlungsabwicklung über die Zahlungsplattform ausländischer Zahlungsdienstleisters durch L und E) ein weiteres Indiz für das Zusammenwirken der L und der E in einer betrügerischen Lieferkette.
Nach Überzeugung des FG hätte der Geschäftsführer der Antragstellerin wissen müssen, dass diese mit ihren Erwerben von der E in betrügerische Lieferketten einbezogen war. So entdeckte die Antragstellerin Ende Juni 2020 bei der Prüfung der Seriennummern auf den gelieferten Masterboxen und Einzelverpackungen der D, dass E wiederholt die Ware D angeboten hat, die schon einmal von der Antragstellerin gehandelt worden waren. Bereits zu diesem Zeitpunkt musste den Verantwortlichen der Antragstellerin bewusst sein, dass ein solcher Warenkreislauf bei Vorliegen üblicher Marktverhältnisse nicht erklärbar ist. Üblicherweise steigt der Preis mit jeder weiteren Stufe und dieselbe Ware kann nicht nochmals zum identischen oder gar niedrigeren Preis auf der vorgelagerten Handelsstufe verkauft werden.
Angebot von Mehrfachdurchläufern
Spätestens aber nachdem der Antragstellerin auch nach Juni 2020 weitere Mehrfachdurchläufer von der E angeboten worden waren, durfte der bereits seit über 20 Jahren in der Branche tätige Geschäftsführer der Antragstellerin nicht mehr auf die vor Aufnahme der Geschäftsbeziehung vorgenommenen Überprüfungsmaßnahmen zur rechtlichen Existenz, Bonität und steuerlichen Unbedenklichkeit der E vertrauen. Vielmehr war bei seriösem Vorgehen geboten, die Geschäftsbeziehung zur E umgehend abzubrechen – was aber nicht erfolgte.
Hessisches FG Beschluss vom 07.02.2022 - 1 V 1585/21
-
Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO ist unwiderruflich
6765
-
Vermietung an den Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft
675
-
Abschreibung für eine Produktionshalle
674
-
Abzug von Fahrtkosten zur Kinderbetreuung
512
-
Berechnung der Zehn-Jahres-Frist bei sanierungsrechtlicher Genehmigung
472
-
Vorsteuerabzug bei Betriebsveranstaltungen
454
-
Sonderausgabenabzug für einbehaltene Kirchensteuer auf Kapitalerträge aus anderen Einkunftsarten
444
-
Anschrift in Rechnungen
429
-
Neue Grundsteuer B in Baden-Württemberg ist verfassungsmäßig
421
-
Teil 1 - Grundsätze
412
-
Zuordnung zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen
18.12.2024
-
Verluste im Rahmen eines Steuerstundungsmodells nach § 15b EStG
18.12.2024
-
Verurteilung zweier Angeklagter wegen Steuerhinterziehung durch Cum-Ex-Geschäfte
18.12.2024
-
Innerorganschaftliche Zinsaufwendungen für den Erwerb einer Beteiligung
18.12.2024
-
Minderung der Miete durch Zeichnung von Genossenschaftsanteilen
16.12.2024
-
Kosten im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft
16.12.2024
-
Änderung des Gesellschafterbestands einer grundbesitzenden Personengesellschaft
16.12.2024
-
Vorsteuerabzug für nicht gelieferte Photovoltaikanlage
13.12.2024
-
Alle am 12.12.2024 veröffentlichten Entscheidungen
12.12.2024
-
Steuerfreiheit von Aufstockungsbeträgen nach dem AltTZG
09.12.2024