Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinssatz beim Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zwecksetzung, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Rücklagen nach § 6b EStG zu verhindern, und die Entschließungsfreiheit des Steuerpflichtigen bei der Rücklagenbildung sind ausreichende Rechtfertigungsgründe, einen Gewinnzuschlag nach § 6 b Abs. 7 EStG unabhängig von der Höhe des wirtschaftlichen Vorteils im Einzelfall in Ansatz zu bringen.
2. Der Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, BGBl. I 2021, 4303) und die darin geregelte Unvereinbarkeitserklärung ist auf den Gewinnzuschlag nach§ 6b Abs. 7 EStG nicht anzuwenden.
Normenkette
EStG § 6b Abs. 7, § 6c Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Zinssatzes für den Gewinnzuschlag nach § 6c Abs. 1 EStG i.V.m. § 6b Abs. 7 EStG.
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte im Klagejahr Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und nicht selbständiger Arbeit. Die Klägerin erzielte keine eigenen Einkünfte.
Mit Einreichung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr teilte der Kläger mit, dass der landwirtschaftliche Betrieb stillgelegt sei und eine Auflösung der gebildeten Rückstellung erfolgen solle.
Das Finanzamt setzte mit Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 28.12.2017 die Einkommensteuer auf 11.739 € fest. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Der Steuerfestsetzung liegen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 11.916 € zugrunde. In den Erläuterungen ist u.a. ausgeführt, dass die in der Landwirtschaft gebildete § 6c EStG Rücklage aus dem Wirtschaftsjahr 2012/2013 aufgelöst wurde. Die Auflösung der Rücklage (13.358 €) zuzüglich der Verzinsung für 4 Jahre mit einem Jahreszinssatz von 6 % (3.205 € = 16.563 €) sei zur Hälfte und der laufende Gewinn der Wirtschaftsjahre 2015/2016 sowie 2016/2017 ebenfalls je zur Hälfte im Jahr 2016 anzusetzen. Hierdurch ergäben sich 11.916 € (8.282 € + 1.817 € + 1.817 €).
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 12.02.2019 als unbegründet zurückgewiesen. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Die Klägervertreter haben Klage erhoben.
Das Gericht hatte mit Beschluss vom 10.03.2020 das Verfahren bis zur Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung durch das Finanzamt längstens aber 31.12.2021 ausgesetzt.
Das Finanzamt hat den Vorbehalt der Nachprüfung mit geänderten Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 30.09.2021 aufgehoben, da der Anlass hierfür weggefallen sei. Änderungen bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft erfolgten nicht.
Das Gericht teilte den Beteiligten mit, dass damit das Verfahren wieder betrieben und der geänderte Bescheid vom 30.09.2021 Gegenstand des Verfahrens werde (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Mit der Klage wenden sich die Prozessbevollmächtigten gegen die Höhe des Zinssatzes bei der Feststellung des Gewinnzuschlags nach § 6c EStG i. V. m. § 6b Abs. 7 EStG.
Die angegriffene Höhe des Gewinnzuschlags des § 6b Abs. 7 EStG mit 6 % pro vollem Wirtschaftsjahr sei wegen der realitätsfernen Bemessung mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und wegen des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Übermaßverbots verfassungswidrig und im Wege verfassungskonformer Auslegung auf eine angemessene Höhe zu reduzieren.
Ein Gewinnzuschlag, der aus einer Zinshöhe von 6 % p.a. abgeleitet werde, sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar (Hinweis auf: Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom 16.02.2017, WD 4 - 3000 - 011/17, S. 11, m.w.N.). Das Niedrigzinsniveau stelle sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern sei struktureller und nachhaltiger Natur. Eine sachliche Rechtfertigung für einen Gewinnzuschlag in Höhe von 6 % p.a. bestehe nicht.
Ebenso erscheine für den Streitzeitraum ein potenzieller Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen konnte, angesichts des sehr niedrigen und teilweise sogar negative Zinssätze ausweisenden Refinanzierungsniveaus am Kapitalmarkt nahezu ausgeschlossen.
Dies gelte insbesondere nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG - vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14 , BGBl. I 2021, 4303). Danach sei der Vermögensvorteil, der sich aus einer Steuernachzahlung ergebe, mit 6 % p.a. spätestens seit dem Jahr 2014 "evident realitätsfern" bewertet und insoweit verfassungswidrig. Nichts anderes könne auch für die Berechnung der Gewinnzuschläge nach § 6b Abs. 7 EStG gelten, die faktisch einer Verzinsung der auf den nachversteuerten Gewinn entfallenden Steuer gleich stünden.
Mit der Frage der Verfassungswidrigkeit von Gewinnzuschlägen, die wie Nachzahlungszinsen wirken, befasse sich das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 08.07.2021 zwar nicht, auch wenn eine gewisse Tendenz aus Tz. 243 herauszulesen sei, dass das Ger...