Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch einer in Polen lebenden polnischen Staatsangehörigen für die in ihrem Haushalt lebenden Kinder des in Deutschland lebenden geschiedenen Kindesvaters
Leitsatz (redaktionell)
Kindergeldansprüche sind auch dann zu erfüllen, wenn sie allein durch den Wohnort ausgelöst werden, die Kinder in einem anderen EU-Mitgliedstaat wohnen und dieser Mitgliedstaat vorrangig zuständig wäre, wenn er tatsächlich mit dem Kindergeld vergleichbare Leistungen erbringen würde (vgl. BFH-Urteil vom 22.02.2018 III R 10/17, BStBl II 2018, 717).
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von Kindergeld rechtmäßig sind.
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Tochter A, geboren am xx.xx.2010, lebt seit ihrer Geburt bei ihrer Mutter in Polen, die ebenfalls polnische Staatsangehörige ist.
Mit Bescheid vom 03.09.2015 setzte die Beklagte zugunsten des Klägers für A ab Juli 2015 Kindergeld fest, weil er in Deutschland wohnte, arbeitete, mit der nicht erwerbstätigen Kindsmutter, seiner damaligen Ehefrau, in Polen einen gemeinsamen Haushalt führte und für A kein Anspruch auf polnische Familienleistungen bestand.
Im Rahmen einer Überprüfung des Kindergeldanspruchs reichte der Kläger bei der Beklagten einen Fragebogen ein, den er am 15.09.2017 unterschrieb. Darin gab er an, geschieden zu sein. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Scheidung beantwortete er nicht. Zudem teilte er mit, dass die Kindsmutter seit dem 11.11.2017 in Polen erwerbstätig ist und nach wie vor für das Kind A kein Anspruch auf polnische Familienleistungen besteht. Ferner legte er Bescheide des Jobcenters der Stadt 1 vom 03.02.2017, 12.07.2017 und 16.01.2018 vor. Danach wurden ihm für Februar 2017 bis Juli 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II bewilligt. Die Bescheide sind an die Adresse des Klägers in der Straße 1 in 1 adressiert, unter der er laut Meldedatenabfrage vom 31.01.2019 seit 01.12.2012 mit Wohnsitz gemeldet ist.
Trotz mehrmaliger Aufforderung der Beklagten wies er nicht nach, bis zu welchem Zeitpunkt er mit der Kindsmutter in Polen einen gemeinsamen Haushalt führte und seit wann diese erwerbstätig ist.
Mit Bescheid vom 15.06.2018 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für das Kind A ab März 2017 gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf und forderte vom Kläger das an ihn für März 2017 bis November 2017 ausbezahlte Kindergeld zurück. Zur Begründung gab sie an, dass ein Kindergeldanspruch ab März 2017 nicht festgestellt werden könne, weil die hierfür erforderlichen Nachweise nicht erbracht worden seien.
Den dagegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28.09.2018 mit der gleichen Begründung zurück. Die am 14.09.2018 vom Kläger eingereichten Unterlagen (Arbeitszeugnis über eine Beschäftigung der Kindsmutter vom 12.07.2017 bis 11.10.2017 in polnischer Sprache, ein vom 18.03.2018 bis 30.11.2020 befristeter Arbeitsvertrag der Kindsmutter in polnischer Sprache, eine ins Deutsche übersetzte Bescheinigung der Sozialversicherungsanstalt mit Sitz in Polen vom 23.07.2018, wonach A seit 18.12.2017 als zu Leistungen aus der Krankenversicherung berechtigte Familienangehörige einer versicherten Person zur Krankenversicherung angemeldet ist und eine Bescheinigung in polnischer Sprache über einen gemeinsamen Haushalt mit der Kindsmutter --ohne Angabe unter welcher Adresse und in welchem Zeitraum dieser bestand-- berücksichtigte sie nicht.
Der Kläger hat fristgemäß Klage erhoben und trägt vor:
Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des ausbezahlten Kindergeldes seien rechtswidrig. Der Kläger habe auch ab März 2017 einen Anspruch auf Kindergeld für das Kind A, weil die Voraussetzungen nach § 62 Abs. 1 EStG erfüllt seien. Er habe am 14.09.2018 der Beklagten sämtliche Unterlagen gefaxt, die zum Nachweis seines Kindergeldanspruchs erforderlich seien. Die gegenteilige Behauptung in der Einspruchsentscheidung sei falsch.
Der Kläger beantragt:
1. Der Bescheid vom 15.06.2018 und die Einspruchsentscheidung vom 28.09.2018 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger das rückständige Kindergeld für A,, geb. am 03.05.2010, ab März 2017 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zutreffend sei, dass die vom Kläger am 14.09.2018 gefaxten Dokumente in der Einspruchsentscheidung keine Berücksichtigung gefunden hätten, weil sie aufgrund einer Verzögerung interner Arbeitsabläufe erst nach deren Erlass eingescannt worden seien. Dies ändere jedoch nichts an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
Ab März 2017 habe der Kläger selbst dann keinen Kindergeldanspruch, wenn zu seinen Gunsten unterstellt werde, dass er seitdem einen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe.
Dies folge aus Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004. Nach Art. 68 Abs. 2 Satz 1 dieser Verordnung seien im Streitfall die Familienleistungen für A nach polni...