Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung eines innerhalb der Einspruchsfrist bekannt gegebenen Abhilfebescheids aufgrund eines Einspruchs
Leitsatz (redaktionell)
Eine analoge Anwendung des § 351 Abs. 1 AO auf Fälle, in denen noch nicht bestandskräftige Steuerbescheide geändert werden, kommt nicht in Betracht.
Normenkette
AO § 351 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, inwieweit ein innerhalb der Einspruchsfrist bekannt gegebener Abhilfebescheid, mit dem einem Antrag auf schlichte Änderung in vollem Umfang stattgegeben wurde, aufgrund eines Einspruchs geändert werden kann.
Der ledige Kläger erzielte im Streitjahr 2003 Einkünfte aus Gewerbebetrieb, nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung (Grundstücksbeteiligungen). Mit Bescheid vom 26.11.2004 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2003 auf 10.470 € fest, wobei die Einnahmen aus Kapitalvermögen abweichend von der Steuererklärung mit 2.886 € statt zutreffend mit 2.785 € (2.715 € + von 141 €) angesetzt wurden.
Dem telefonischen Antrag der Steuerberaterin des Klägers vom 08.12.2004, die Einkünfte aus Kapitalvermögen in der zutreffenden Höhe zu berücksichtigen, wurde durch Erlass des Abhilfebescheids vom 20.12.2004 - also noch innerhalb der Einspruchsfrist - entsprochen. Dabei wurde die Einkommensteuer 2003 auf 10.426 € herabgesetzt. Dem Bescheid war folgende Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt:
„Die Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags kann mit dem Einspruch angefochten werden. (...) Der Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit dieser Bescheid einen Verwaltungsakt ändert, gegen den ein zulässiger Einspruch (...) anhängig ist. (...) Die Frist für den Einspruch beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen dieser Bescheid bekannt gegeben worden ist. (...)“
Am 24.01.2005 legte die steuerliche Vertreterin des Klägers gegen den Abhilfebescheid vom 20.12.2004 Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 18.11.2005 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzamt führte im Wesentlichen aus, der Einkommensteuerbescheid 2003 vom 26.11.2004 sei durch den Abhilfebescheid vom 20.12.2004 im Wege der „schlichten Änderung“ geändert worden. Der Antrag auf schlichte Änderung hindere aber nicht den Eintritt der Bestandskraft im Übrigen. Da die Einspruchsfrist für den Erstbescheid vom 26.11.2004 bereits am 29.12.2004 abgelaufen gewesen sei, sei analog § 351 Abs. 1 AO eine Anfechtung des Abhilfebescheids mit Einspruch vom 24.01.2005 nur noch eingeschränkt möglich, d.h. soweit die Änderung reiche. Im konkreten Fall könne im Einspruchsverfahren eine weitere Herabsetzung der Einkommensteuer nicht erreicht werden.
Im Klageverfahren begehrt der Kläger erstmals die Berücksichtigung von Beiträgen zu einer Lebensversicherung i.H.v. 4.647,53 € als Vorsorgeaufwendungen und beantragt insofern das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 274/03. Außerdem begehrt er den Abzug von Beiträgen zur Rentenversicherung in ungenannter Höhe als vorweggenommene Werbungskosten und beantragt auch insofern das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2299/04.
In einem Telefonat mit der Berichterstatterin hat die Klägervertreterin erklärt, sie begehre letztlich die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18.11.2005, weil das Finanzamt im Einspruchsverfahren offensichtlich keine Sachprüfung vorgenommen habe und es ihr letztlich um eine Aktualisierung der Vorbehaltsvermerke gehe.
Der Kläger beantragt demzufolge, die Einspruchsentscheidung vom 18.11.2005 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Für den Fall des Unterliegens beantragt es die Zulassung der Revision.
Zur Begründung führt es an, eine Änderung des Abhilfebescheids vom 20.12.2004 sei wegen des Rechtsgedankens der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO nicht möglich. Der Steuerberater sei an die einmal getroffene Wahl gebunden, wenn sie nicht bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gegen den Erstbescheid geändert werde.
Ein Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO verhindere nicht den Eintritt der Unanfechtbarkeit. Er sei kein Rechtsbehelf. Da innerhalb der Rechtsbehelfsfrist des Erstbescheides kein Einspruch eingelegt worden sei, sei die Steuerfestsetzung 2003 am 29.12.2003 bestandskräftig geworden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Das Finanzamt hat den fristgerechten Einspruch des Klägers vom 24.01.2005 gegen den Abhilfebescheid vom 20.12.2004, mit dem der noch nicht bestandskräftige Erstbescheid vom 26.11.2004 antragsgemäß geändert wurde, zu Unrecht in analoger Anwendung der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO ohne sachliche Prüfung zurückgewiesen.
Der Änderungsbescheid vom 20.12.2004 ist in vollem Umfang überprüfbar. Die Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO greift nicht, weil der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid vom 26.11.2004 bei Erlass des Änderungsbescheides noch nicht bestandskräftig war. Das wäre er erst...