Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH VIII B 6/13)
Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit eines Steuerbescheids wegen willkürlich erfolgter Strafschätzung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verwaltungsakt ist nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn die für eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen.
2. Ein wegen unterlassener Abgabe einer Steuererklärung ergangener Schätzungsbescheid erfordert nach § 121 Abs. 1 AO grundsätzlich keine über die Wertangaben hinausgehende Begründung der Besteuerungsgrundlagen.
Normenkette
AO § 121 Abs. 1, § 125 Abs. 1, § 355 Abs. 1 S. 1, § 110 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Einkommensteuerbescheid für 2006 wegen willkürlich erfolgter Strafschätzung nichtig ist und hilfsweise, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
Die Kläger erzielten im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Da die Kläger trotz Aufforderung keine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 einreichten, schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen nach § 164 Abs. 1 AO mit Einkommensteuerbescheid vom 29.07.2008 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Hierbei wurden die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers gemäß den elektronisch übermittelten Lohndaten angesetzt, die Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Klägerin wurden i.H.v. 5.000 € geschätzt. Das Finanzamt setzte eine Einkommensteuer für 2006 i.H.v. 13.154 € fest, die von den Klägern auch beglichen wurde. In der Akte ist der handschriftliche Vermerk angebracht: „Schätzung 17. Juli 2008.”
Die Kläger legten mit Schreiben vom 30.12.2008 den Mantelbogen der Einkommensteuererklärung für 2006 mit dem Hinweis vor, dass die Anlagen N und GSE mit entsprechenden Belegen nachgereicht würden. Nach einem Aktenvermerk des Finanzamts auf dem Mantelbogen erfolgte am 11.03.2009 eine telefonische Anforderung der ausstehenden Unterlagen durch das Finanzamt. Die Kläger gaben laut dem Aktenvermerk an, die Anlagen bis Mitte nächster Woche vorzulegen. Die Anlagen N und GSE wurden jedoch zunächst beim Finanzamt nicht eingereicht. Ein weiterer handschriftlicher Aktenvermerk des Finanzamts auf dem Mantelbogen vom 20.08.2009 lautet: „Angeforderte Unterlagen nicht nachgereicht; die Eink. der EF werden i.H.v. 12.000.- geschätzt.”
Mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 veranlagte das Finanzamt die Kläger gemäß den von diesen eingereichten Teilen der Einkommensteuererklärung und setzte somit geänderte Sonderausgaben und keine Einkünfte aus Kapitalvermögen an. Das Finanzamt erhöhte allerdings die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit auf 12.000 €. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben. In den Erläuterungen führte das Finanzamt aus: „Sie sind der Aufforderung vom 11.3.2009, die Einkünfte der Ehefrau nachzureichen, nicht nachgekommen, die Einkünfte werden i.H.v. 12.000.- geschätzt. Es wurden Spendenbelege i.H.v. 935 € anerkannt, soweit abgestempelte Belege vorgelegt wurden. Bitte reichen Sie hierzu die Kontoauszüge nach.”
Die Kläger erhoben mit Schreiben vom 30.10.2009, welches beim Finanzamt am 03.11.2009 einging, Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009. Zur Begründung trugen sie vor, dass die bereits entrichtete Lohnsteuer nicht berücksichtigt worden sei.
Mit Schreiben vom 09.11.2009 wies das Finanzamt die Kläger darauf hin, dass der Einspruch verspätet beim Finanzamt eingegangen sei und wies auf die Möglichkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO sowie die Voraussetzungen dieser Norm hin.
Mit Fax vom 08.12.2009 teilten die Kläger mit, dass sie den Einspruch aufrechterhalten.
Die Kläger reichten mit Schreiben vom 04.04.2010 die Anlage N des Klägers und die Anlage GSE der Klägerin jeweils mit Anlagen ein (Eingang beim FA: 06.04.2010). Sie wiesen in einem Anschreiben darauf hin, dass nunmehr feststehe, dass die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit der Klägerin aus England dort nicht zu versteuern seien. Als Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Klägerin wurden ./. 8.067 € erklärt.
Mit Fax vom 05.03.2012 stellte die Prozessbevollmächtigte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO und beantragte den Erlass eines Änderungsbescheids für 2006 unter Berücksichtigung der Anlagen N und GSE.
Das Finanzamt verwarf mit Einspruchsentscheidung vom 17.04.2012 den Einspruch der Kläger als unzulässig.
Mit der Klage beantragen die Kläger festzustellen, dass der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.04.2012 gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig ist.
Hilfsweise beantragen sie, den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.04.2012 unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dahin zu ändern, dass die Werbungskosten des Kläger...