Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Anforderungen an ein nach § 64 Abs. 1 S. 2 EStDV erforderliches amtsärztliches Gutachten zum Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall
Leitsatz (amtlich)
1. Aus der Verwendung des Begriffs „amtsärztliches Gutachten“ in § 64 Abs. 1 S. 2 EStDV folgt nicht, dass der Amtsarzt sich in einem nach Form, Inhalt und Umfang wissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden Gutachten zur Zwangsläufigkeit der Aufwendungen äußern müsste. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie aus dem Vergleich mit der ebenfalls den Anforderungen des § 64 Abs. 1 S. 2 EStDV genügenden „Bescheinigung“ eines Medizinischen Dienstes einer Krankenversicherung ergibt sich, dass auch ein amtsärztliches Attest ausreichend ist.
2. Sind Vorauszahlungen auf Aufwendungen im Krankheitsfall geleistet worden, deren Zwangsläufigkeit nach § 33 Abs. 4 EStG i.V.m. § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 1 S. 2 EStDV vor Beginn der Heilmaßnahme in qualifizierter Form nachgewiesen werden muss, sind auch die im Zeitpunkt der Erstellung des qualifizierten Nachweises noch nicht verbrauchten vorausgezahlten Beträge nach § 33 EStG zu berücksichtigen, wenn sie mit den Kosten für nach Erstellung des qualifizierten Nachweises erbrachten Behandlungen verrechnet werden.
Normenkette
EStG §§ 33, 33 Abs. 4, § 11; EStDV § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung.
Die Kläger wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie sind Eltern der am 12. Oktober 2008 geborenen M und der am 17. August 2011 geborenen D. Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die Klägerin erhielt bis August 2013 Elterngeld.
Das Kind M ist seit Geburt schwerbehindert. Der Grad der Behinderung (GdB) wurde auf 100 mit den Merkzeichen G, RF und H festgestellt. Ab Februar 2011 ließen die Kläger ihr Kind im Naturheilzentrum B (im Folgenden: NB) behandeln. Das NB ist eine Gesundheitseinrichtung, die von zwei Heilpraktikern betrieben wird. Die bei M durchgeführten Behandlungen umfassten u.a. Einzelleistungen wie Akupunktur, Ganzkörperregulationsbehandlung, Ernährungsberatung, medico-mechanische Behandlungen, klangtherapeutische Anwendungen, Aromaöl-Inhalationen, Atemtherapie, Pflanzen- und Kräuterinfusionen, Applikationen von Pflanzensamen und von Edelstahlkugeln zur Stimulation, Farblichttherapie, aber auch die Mitbehandlung der Eltern und Großeltern. Die Kläger überwiesen jeweils vor Erbringung der Leistungen Beträge an das NB, die so entstandenen Guthaben wurden nach Erbringung der Leistungen in den erteilten Rechnungen verrechnet. Im Jahr 2013 überwiesen die Kläger insgesamt 16.800,00 € vorab an das NB (s. Aufstellung Bl. 1 der Akte „Belege“). In den von dem NB erteilten Rechnungen wurden die an den Behandlungstagen erbrachten Einzelleistungen zwar jeweils separat aufgeführt, aber nicht mit Einzelbeträgen in die Rechnung aufgenommen. Vielmehr wurde jeweils unter dem Punkt „Basis-Ganzkörperregulationsbehandlung“ ein Betrag von 420,00 € in Rechnung gestellt, mit dem mehrere und variierende Einzelleistungen „inclusive“ erfasst waren. Mit einer Rechnung vom 14. März 2014 wurden im März 2014 erbrachte Leistungen mit einer im Jahr 2013 beim NB eingegangenen Vorauszahlung von 4.200,00 € verrechnet (s. Bl. 2 – 6 der Akte „Belege“). In den erteilten Rechnungen wies das NB jeweils darauf hin, dass der ausgewiesene Rechnungsbetrag unabhängig von einer abweichenden Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit sowie einer medizinisch wissenschaftlichen Anerkennung der durchgeführten Diagnostik oder Therapie bzw. der vollständigen oder teilweisen Erstattung durch Beihilfestellen, private Krankenversicherungen oder sonstige Kostenträger zu erstatten sei (s. Bl. 2 – 29 der Akte „Belege“). Eine Kostenerstattung durch die Betriebskrankenkasse erfolgte nicht (Bl. 40 der Akte „Belege“).
Für die Zeiträume, in denen Behandlungen Ms im NB stattfanden, mieteten die Kläger für jeweils 200,00 € eine Ferienwohnung in O an (s. Quittungen Bl. 33 – 34 der Akte „Belege“).
In ihrer Einkommensteuererklärung 2013 machten die Kläger nachfolgende Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend (s. Bl. 12 Einkommensteuerakte 2013):
Naturheilzentrum B, Rechnung vom 28. 06. 2013 |
4.200,00 € |
Naturheilzentrum B, Rechnung vom 18. 10. 2013 |
4.200,00 € |
Naturheilzentrum B, Rechnung vom 20. 12. 2013 |
4.200,00 € |
Naturheilzentrum B, Rechnung vom 14. 03. 2014 (verrechnet mit 2013 geleisteter Vorauszahlung) |
4.200,00 € |
Aufenthaltskosten B (Miete Ferienwohnung, 4 x 200,00 €) |
800,00 € |
Fahrtkosten zu Ärzten, Behandlungen etc. lt. Liste |
1.460,00 € |
Apotheke lt. Belegen |
3.357,00 € |
Sonstige Kosten (Brille, Hilfsmittel) |
516,00 € |
22.933,00 € |
Zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Behandlung im NB hatten die Kläger bereits zu ihrer Einkommensteuererklärung 2012 ein privatärztliches Attest vom 4. Juni 2013 von Dr. J, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde – Homöopathie, ...