Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für schwer behindertes Kind, das drei Stunden täglich arbeiten kann
Leitsatz (amtlich)
Ein Kind, dessen Grad der Behinderung 100% mit den Merkzeichen G und aG beträgt, und das aufgrund seiner Behinderung von einer Pflegeorganisation gepflegt (gewaschen, angezogen) werden muss, ist auch dann aufgrund seiner Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann und deshalb Arbeitslosengeld II erhält.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Tatbestand
Streitig ist die Zahlung von Kindergeld ab September 2005.
Der Kläger hat u.a. die Tochter D, geboren am 19. November 1982. D hat vom 1. September 2000 bis 31. August 2001 in der Verbandsgemeinde R als Vorpraktikantin im Kindergarten in M gearbeitet. Am 1. September 2001 hat sie sich arbeitslos gemeldet. Vom 24. Juni 2003 bis 23. Juni 2005 hat sie an einer Ausbildung zur IT-Systemkaufmann/-frau teilgenommen. Hierbei erfolgte die Unterkunft in einem Internat. Anschließend hat sie bis zum 12. August 2005 eine Umschulung besucht.
Seit Oktober 1999 ist D an Multipler Sklerose -MS- erkrankt. Sie hat seit dem 15. März 2001 einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkmalen G und aG.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 wurde die Kindergeldfestsetzung ab September 2005 aufgehoben mit der Begründung, dass D die Weiterbildungsmaßnahme am 12. August 2005 vorzeitig beendet habe. Die Behinderung des Kindes könne nach den vorliegenden Unterlagen nicht ursächlich dafür sein, dass es seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten könne. Die Tochter beziehe Arbeitslosengeld II, somit sei sie in der Lage, mehr als drei Stunden am Tag zu arbeiten. In dem Bescheid wurde Kindergeld für den Zeitraum September 2005 bis April 2006 in Höhe von 1.232,00 € zurückgefordert. Hiergegen hat der Kläger Einspruch eingelegt mit der Begründung, dass D krankheitsbedingt ständig ärztlich behandelt würde, wobei auch Krankenhausaufenthalte notwendig seien. Die Beweglichkeit des rechten Beines und des linken Armes sei stark eingeschränkt. Derzeit müsse sie von dritten Personen gepflegt werden, bspw. werde sie gewaschen und angezogen. Es würden immer wieder Krankheitsschübe auftreten, weshalb D eine Vielzahl von Fehlzeiten gehabt habe und auf Grund der gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht in der Lage gewesen sei, die Weiterbildungsmaßnahme fortzuführen. Die durchgeführten Pflegemaßnahmen ergäben sich aus dem Vertrag mit dem Caritas-Verband. Mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2007 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Klage trägt der Kläger vor, dass D zu 100 % schwerbehindert sei und der Nachweis in Form des Schwerbehindertenausweises vorgelegt worden sei. Sie sei nicht in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen. Im Übrigen bestehe dringender Pflegebedarf für die Tochter. Insofern werde auf den Pflegevertrag mit der Caritas-Pflegestation V verwiesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid über die Aufhebung von Kindergeld vom 21. Dezember 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass das Kind laufend Arbeitslosengeld II beziehe. Es lebe außerhalb des Haushaltes der Eltern bei einem Freund in V. Eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme solle demnächst stattfinden. Der Bezug von Arbeitslosengeld II setze unabdingbar voraus, dass die Bezieherin erwerbsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei. D könne ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Eine Berücksichtigung als behindertes Kind im Sinne des Kindergeldrechtes sei daher nicht möglich.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Beklagte hat zu Unrecht die Kindergeldfestsetzung für D ab September 2005 aufgehoben.
Der Kläger hat einen Kindergeldanspruch nach §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat und wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes -BFH- in seinen Grundsatzentscheidungen vom 15. Oktober 1999, BStBl II 2000, 72, 75 und 79, ist ein behindertes Kind - positiv ausgedrückt - erst dann im Stande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfes ausreicht. Die Fähigkeit eines Kindes zum Selbstunterhalt ist folglich anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen, nämlich seines gesamten Lebensbedarfes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits, zu prüfen. Erst wenn sich hieraus eine ausreichende Leistungsfähigkeit ergibt, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerliche Leistungsfähigkeit mindert. Der gesamte existenti...