Leitsatz

Ein Kind, dessen GdB 100% mit den Merkzeichen G und aG beträgt, und das aufgrund seiner Behinderung von einer Pflegeorganisation gepflegt werden muss, ist auch dann aufgrund seiner Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann und deshalb Arbeitslosengeld II erhält.

 

Sachverhalt

Der Kläger erhielt für seine über 18 Jahre alte Tochter (T), die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt ist, zunächst Kindergeld. Seit 2001 hatte T einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkmalen G und aG. Mit Bescheid vom Dezember 2006 wurde die Kindergeldfestsetzung ab September 2005 mit der Begründung, dass T eine Weiterbildungsmaß- nahme im August 2005 vorzeitig beendet habe, von der Familienkasse aufgehoben und das Kindergeld zurückgefordert. Nach den vorliegenden Unterlagen könne die Behinderung des Kindes nicht ursächlich sein, dass es seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten könne. T beziehe Arbeitslosengeld II, und sei somit in der Lage, mehr als drei Stunden am Tag zu arbeiten. Im Klageverfahren trägt der Kläger vor, T sei nicht in der Lage gewesen, die Weiterbildungsmaß-nahme fortzuführen. Im Übrigen bestehe dringender Pflegebedarf für T.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des FG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat und das wegen einer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten, ein Anspruch auf Kindergeld. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in § 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG führt eine Behinderung nur dann zur Berücksichtigung, wenn das Kind nach den Gesamtumständen des Einzelfalls wegen der Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten (Ursächlichkeit). Die Ursächlichkeit der Behinderung kann grundsätzlich angenommen werden, wenn in dem Behindertenausweis das Merkmal "H" (hilflos) eingetragen ist oder der Grad der Behinderung 50 oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, auf Grund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint. T ist ab 1999 an MS erkrankt und hat seit 2001 einen Behindertenausweis mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkmalen G und aG. Dass sich T bei einem Schub der Erkrankung nicht bewegen kann, ergibt sich aus den Akten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Leistungsfähigkeit von drei Stunden vorliegt, kann T aus dieser täglichen Arbeitszeit nicht genügend Einkünfte erzielen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aus der Tatsache, dass sie Arbeitslosengeld II bezieht, kann nicht geschlossen werden, dass sie erwerbsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist. Auf Grund dieser besonderen Umstände ist die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt gegeben.

 

Hinweis

Das Urteil des FG ist rechtskräftig. Betroffene sollten in gleich gelagerten Fällen unter Hinweis auf dieses Urteil gegen die Ablehnung von Kindergeldanträgen Einspruch einlegen. Ein Anspruch auf Ruhen des Verfahrens besteht jedoch nicht.

 

Link zur Entscheidung

FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.01.2008, 1 K 1387/07

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