Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatsächliche Verständigung
Leitsatz (amtlich)
Entgegen der Regelung in Tz. 5.3 des BMF-Schreibens vom 30. Juli 2008 (IV A 3 - S-0223 / 07 /10002, 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831) ist die Anwesenheit eines Amtsträgers, der für die Steuerfestsetzung zuständig ist, bei Abschluss einer tatsächlichen Verständigung erforderlich.
Normenkette
AO § 88
Tatbestand
Strittig sind die Hinzuschätzung zum Gewinn einer Gaststätte und die Frage, ob die Klägerin an eine tatsächliche Verständigung über die Hinzuschätzungsbeträge gebunden ist.
Die Klägerin war Inhaberin der Gaststätte "B" in M. Den Gewinn aus der Gaststätte ermittelte sie durch Bestandsvergleich.
In der Gaststätte der Klägerin fand in der Zeit vom 15. September 2009 bis zum 25. Januar 2010 eine Betriebsprüfung statt. Dabei stellte der Betriebsprüfer fest, dass die Klägerin die Kasse in Form einer offenen Ladenkasse führte. Er war der Ansicht, dass die Kassenführung nicht ordnungsgemäß sei, weil die Klägerin weder ein Kassenbuch geführt noch täglich Kassenberichte erstellt habe (Tz. 1.1 des Prüfungsberichts vom 25. Januar 2007, Blatt 7 der Bp-Berichtsakte und Blatt 49 der Außenprüfungsakte). Bei der Überprüfung der von der Klägerin geführten Aufzeichnungen stellte der Prüfer zudem Kassenfehlbeträge fest (Blatt 47, 48 und 50 der Außenprüfungsakte). Bei einer durch den Prüfer daraufhin erstellten Nachkalkulation (vgl. Blatt 120, Blatt 149, Blatt 165 bis 169 der Außenprüfungsakte) ermittelte der Prüfer nicht erfasste Mehrerlöse in Höhe von 23.578 € in 2006, 21.453 € in 2007 und 21.228 € in 2008 (Blatt 202 der Außenprüfungsakte). Der Betriebsprüfer gelangte zur Auffassung, dass die Klägerin ihre Betriebseinnahmen nicht vollständig erfasst hatte und verwarf die Buchführung der Klägerin.
In der Schlussbesprechung am 21. Januar 2010 schlossen die Klägerin und der zuständige Sachgebietsleiter der Betriebsprüfung eine tatsächliche Verständigung, nach der die Beteiligten "übereinstimmend und verbindlich" davon ausgingen, dass im Prüfungszeitraum der Veranlagungszeiträume 2006 bis 2008 die Kassenführung der Klägerin nicht ordnungsgemäß gewesen sei und die Klägerin ihre Betriebseinnahmen nicht in korrekter Höhe erfasst habe. Da die „tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen nicht mehr zu erfassen seien”, gingen die „Parteien” einvernehmlich davon aus, dass die Betriebseinnahmen um 15.000 € netto in jedem Veranlagungszeitraum zu erhöhen seien (Blatt 231, 232 der Außenprüfungsakte - tatsächliche Verständigung im Original). In der tatsächlichen Verständigung ist unter Verweis auf das BMF-Schreiben vom 30. Juli 2008 (IV A 3 - S-0223/07/10002, 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831) weiter ausgeführt, die „Parteien” seien sich darüber einig, dass die Unterschrift des zuständigen Sachgebietsleiters des V-Bezirks nachgeholt werde. Die Unterschrift des Sachgebietsleiters des für die Klägerin zuständigen Veranlagungsbezirks wurde entsprechend nachgeholt.
Mit Bescheiden vom 11. Februar 2010 änderte der Beklagte gem. § 173 Abs 1 Nr. 1 AO die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2006 bis 2008 entsprechend der tatsächlichen Verständigung.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, da der Sachgebietsleiter der Veranlagungsstelle bei der tatsächlichen Verständigung nicht anwesend gewesen sei, sei diese unwirksam. Mit Einspruchsentscheidungen vom 2. Oktober 2010 wies der Beklagte den Einspruch zurück.
Die Klägerin trägt vor, die tatsächliche Verständigung vom 21. Januar 2010 sei unwirksam, da bei Abschluss der Vereinbarung kein für die Steuerfestsetzung zuständiger Sachgebietsleiter anwesend gewesen sei. Der diesbezügliche Formverstoß könne nicht durch eine Nachholung der Unterschrift des zuständigen Sachgebietsleiters geheilt werden. Die Rechtsprechung des BFH sei eindeutig. Sie -die Klägerin- habe bereits im Einspruchsverfahren Akteneinsicht und die Durchführung einer Schlussbesprechung beantragt. Eine Entscheidung über diese Anträge sei nicht erfolgt. Dieses Verhalten des Beklagten sei als Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu rügen. Die vom Betriebsprüfer vorgenommene Schätzung sei zu hoch ausfallen. Der Prüfer habe zunächst eine Kalkulation bei den Getränken vorgenommen und im Anschluss daran die Erlöse für Küchenwaren auf Basis des angenommenen Verhältnisses der Getränkeumsätze von 70% zu den Küchenwaren von 30% geschätzt. Dabei hätten sich Kalkulationsdifferenzen von 23.578 € in 2006, 15.656 € in 2007 und 21.228 € in 2008 ergeben. Da dies im Jahr 2007 zu einem nach Ansicht des Prüfers unzutreffenden Ergebnis geführt hätte, habe der Betriebsprüfer die Erlöse ausgehend vom Wareneinsatz der Küche mit einen Rohgewinnaufschlag von 296%, welchen der Prüfer bei den Getränkeumsätzen ermittelt habe, geschätzt. Dies habe dann eine Kalkulationsdifferenz von 21.453 € ergeben. Die Anwendung der beiden unterschiedlichen Kalkulationsmethoden sei widersprüchlich. Es sei von dem niedrigeren Wert auszugehen, von dem noch zusätzlich...