Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte km-Angaben für Fahrten Wohnung/Arbeitsstätte
Leitsatz (amtlich)
1. Überhöhte Entfernungsangaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte können den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen.
2. Der Steuerpflichtige kann dem Finanzamt nicht ohne Weiteres entgegen halten, es hätte die fehlerhaften Angaben bemerken müssen.
Normenkette
AO § 88, 169 Abs. 2 S. 2, 173 Abs. 1 Nr. 1, 370 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2005 geändert werden konnten.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Beide erzielen als kaufmännische Angestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie wohnen in der V-Straße in E. Arbeitsort der Klägerin war im Jahre 1996 G, seit 1997 A. In der Anlage N zu ihrer Einkommensteuererklärung für 1996 gab die Klägerin bei den Werbungskosten hinsichtlich der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Zeile 35 des Vordrucks (Arbeitsstätte) „G über A“ und die einfache Entfernung mit „28 km“ an, die sie mit dem privaten Pkw zurückgelegt habe (Bl. 6 R Einkommensteuerakten – EStA – 1996). In den Anlagen N zu den Einkommensteuererklärungen für 1997 bis 2005 gab die Klägerin jeweils als Arbeitsort „A“ und als einfache Entfernung ebenfalls jeweils „28 km“ an (Bl. 6 R EStA 1997, Bl. 5 R EStA 1998, Bl. 6 R EStA 1999 und 2000, Bl. 5 R EStA 2001 und 2002, Bl. 6 R EStA 2003 und 2004, Bl. 5 R EStA 2005). Der Beklagte führte die Veranlagungen für die Streitjahre zunächst den Erklärungen gemäß durch (Bescheide für 1996 vom 04.04.1997, Bl. 7 EStA 1996; für 1997 vom 03.04.1998, Bl. 7 EStA 1997; für 1998 vom 27.04.1999, Bl. 6 EStA 1998; für 1999 vom 05.04.2000, Bl. 7 EStA 1999; für 2000 vom 10.04.2001, Bl. 12 EStA 2000; für 2001 vom 18.04.2002, Bl. 6 EStA 2001; für 2002 vom 08.04.2003, Bl. 6 EStA 2002; für 2003 vom 13.05.2004, Bl. 7 EStA 2003; für 2004 vom 25.05.2005, Bl. 8 EStA 2004 und für 2005 vom 22.05.2006, Bl. 10 EStA 2005). Bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 fiel dem Sachbearbeiter des Beklagten auf, dass die von der Klägerin angegebene Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 28 km zu hoch angegeben war. Eine Überprüfung anhand eines Routenplaners ergab eine einfache Entfernung von E nach A von rund 10 km. Daraufhin erließ der Beklagte am 17.8.2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre (Bl. 19 EStA 1996, Bl. 19 EStA 1997, Bl. 25 EStA 1998, Bl. 19 EStA 1999, Bl. 22 EStA 2000, Bl. 16 EStA 2001, Bl. 16 EStA 2002, Bl. 17 EStA 2003, Bl. 18 EStA 2004 und Bl. 17 EStA 2005).
Den gegen diese Änderungsbescheide am 03.09.2007 eingelegten Einspruch (Bl. 1 Hefter „Einsprüche 1996 – 2005“ – E -) begründeten die Kläger dahin, es lägen keine neuen Tatsachen vor, die eine Änderung rechtfertigen könnten. In den Erklärungen seien sowohl die Wohnanschrift als auch die Arbeitsstätte angegeben. Dem Veranlagungsbeamten habe ohne weiteres auffallen müssen, dass die angegebene Entfernung mit den Ortsangaben nicht in Einklang zu bringen gewesen sei. Zudem sei für die Jahre 1996 bis 2001 zum Zeitpunkt der Änderung bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen. Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO komme nicht in Betracht, da weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorlägen (Bl. 2 E).
Mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2008 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück (Bl. 40 E).
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor: Die Einkommensteuerbescheide 1996 - 2005 hätten nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden dürfen. Die Klägerin wohne in E und arbeite in A. Ihre tägliche Fahrstrecke zur Arbeitsstätte führe sie über C. Seit vielen Jahren habe sie in der Einkommenserklärung die Entfernungskilometer (einfache Fahrtstrecke) zwischen Wohnung und Arbeitsstätte fehlerhaft mit 28 km anstatt mit den tatsächlichen 15 km angegeben. Sie sei irrtümlich davon ausgegangen, dass die Entfernungskilometer den tatsächlich gefahrenen Kilometer entsprächen. In dieser Meinung sei sie durch die seit 1996 jährlich erklärungsgemäß erfolgten Veranlagungen bestärkt worden. Dem Beklagten seien keine neuen Tatsachen nachträglich bekannt geworden. Ihm seien sowohl der Wohnsitz als auch die Adresse der Arbeitsstätte der Klägerin durch die jeweiligen Einkommensteuererklärungen bekannt gewesen. Beide Adressen hätten sich in dieser Zeit nicht geändert. Eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide aus, wenn sie auf Tatsachen gründe, die dem Finanzamt infolge Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht zunächst unbekannt geblieben seien. Eine solche Verletzung der Ermittlungspflicht liege vor, wenn die Finanzbehörde Zweifeln, die sich nach Sachlage aufdrängen müssten, nicht nachgehe, z.B. bei offensichtlich unzutreffenden Angaben eines Steuerpflichtigen. Die Klägerin habe die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch Nennung ihrer privaten ...