Das Ende für finale Verluste von EU-Freistellungsbetriebsstätten?
[Ohne Titel]
Dipl.-Finw. Ingo Prang, StB / Dipl.-Finw. Marcus Rösen, StB, M.A. Taxation
Mit Beschluss vom 6.11.2019 (BFH v. 6.11.2019 – I R 32/18, GmbH-StB 2020, 375 [Böing/Rösen]) legte der BFH dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen hinsichtlich des Abzugs sog. finaler Verluste für EU-Freistellungsbetriebsstätten vor. In dem zuletzt veröffentlichten Urteil vom 22.9.2022 (EuGH v. 22.9.2022 – C-538/20 – W, ISR 2022, 417 = FR 2022, 989) spricht sich der EuGH dafür aus, dass die Niederlassungsfreiheit dem Untergang von finalen Verlusten in Fällen der EU-Freistellungsbetriebsstätten nicht entgegensteht. In diesem Beitrag wird die Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung zu den finalen Verlusten vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechungshistorie untersucht. Zeitgleich sollen das jüngste Urteil analysiert und etwaige Konsequenzen für die Praxis herausgearbeitet werden.
I. Einleitung
Die Rechtsprechungshistorie des EuGH zur grenzüberschreitenden Nutzung finaler Verluste feierte im Jahr 2022 ihren 17. Geburtstag – und begleitet damit die nächste Generation junger Erwachsener schon fast ein Leben lang.
Mit seiner Rechtsprechung in den Rs. Memira Holding und Holmenim Jahr 2019
- entfachte der EuGH die Diskussion um finale Verluste erneut und
- ließ Hoffnung auf eine erneute BFH-Entscheidung aufkommen, die Klarheit für das deutsche Steuerrecht bringen könnte.
Erwartete Reaktion der EU-Mitgliedstaaten: Vor diesem Hintergrund wurde damals schon eine Reaktion der Europäischen Mitgliedstaaten durch Anpassung nationaler Regelungen an die EuGH-Auffassung erwartet. Beachten Sie: Dies galt vor allem für Deutschland, wo seit Jahren
- eine gesetzliche Handhabe aussteht und
- mehr Rechtssicherheit in jedem Fall wünschenswert und notwendig wäre.
BFH legt dem EuGH fünf Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor: Im Rahmen eines Revisionsverfahrens, das im Jahr 2018 beim BFH anhängig wurde, legte der BFH dem EuGH insgesamt fünf Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor, die auf einen Großteil der seit Jahren umstrittenen Probleme zu den finalen Betriebsstättenverlusten abstellten.
Anlass für den Vorlagebeschluss v. 6.11.2019: Nach u.E. zutreffender Auffassung des BFH war der Vorlagebeschluss vom 6.11.2019 damit zu begründen, dass trotz der in der Vergangenheit ergangenen EuGH-Entscheidungen
- die Grundsatzfrage der Berücksichtigungspflicht finaler Verluste sowie
- die Kriterien für die Finalität und die Höhe der ggf. zu berücksichtigenden Verluste
nicht hinreichend geklärt waren.
II. Die fünf Fragen des Vorlagebeschlusses des BFH
Der Vorlagebeschluss enthielt die folgenden Rechtsfragen:
1. Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen, wenn die Gesellschaft zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden ("finale" Verluste), auch dann entgegenstehen, wenn es sich bei den betreffenden Rechtsvorschriften um die Freistellung von Gewinnen und Verlusten aufgrund eines bilateral zwischen den beiden Mitgliedstaaten vereinbarten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung handelt?
2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) dahin auszulegen, dass sie auch den Rechtsvorschriften des deutschen Gewerbesteuergesetzes entgegenstehen, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewerbeertrag "finale" Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen?
3. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Können im Falle der Schließung der...