Durch eine grundlegende Novelle des Sozialen Entschädigungsrechts wurde Art. 21 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019 (vgl. BGBl. I 2019, 2652) reformiert. Die gesetzliche Neuregelung stand damit nicht in Verbindung mit den aktuellen Krisensituationen. Gleichwohl wird im politischen Berlin gerne ein Zusammenhang mit der Corona-Krise konstruiert, da die geänderten Passagen des Gesetzes bereits ab dem 1.1.2024 ihre Geltung erlangen. Im Kern wurde bei der Novelle des Gesetzes lediglich der Zweck der "Kriegsopferfürsorge" für den das ursprüngliche LAG geschaffen wurde, durch den Begriff "Soziale Entschädigung" ersetzt und entspr. auf das SGB XIV verwiesen, welches ebenfalls geändert wurde.
Der Hintergrund der begrifflichen Änderung ist so einfach wie banal. So müssen Opfer einer Gewalttat nach Einschätzung der Bundesregierung Leistungen schneller und zielgerichteter als bisher erhalten. Dies sei eine wesentliche Folgerung aus den Auswirkungen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin. Das Soziale Entschädigungsrecht, welches auf dem im Jahr 1950 für die Versorgung der Kriegsgeschädigten, ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen geschaffenen Bundesversorgungsgesetz (BVG) basiere, solle sich daher künftig an den heutigen Bedarfen der Betroffenen, insb. Opfer von Gewalttaten einschließlich der Opfer von Terrortaten, ausrichten. Auch sei der im Bereich der Gewaltopferentschädigung verwendete Gewaltbegriff nicht mehr umfassend genug. Er lasse unberücksichtigt, dass nicht nur ein tätlicher Angriff, sondern auch eine psychische Gewalttat zu einer gesundheitlichen Schädigung führen könne.
Beraterhinweis Deutlich wird an diesen gesetzgeberischen Intentionen, dass die Novelle in keinem Zusammenhang mit den aktuellen Krisen steht. Vielmehr wurde bereits in den ersten Jahren der Bundesrepublik in einer extremen Notsituation unter dem Eindruck der massiven Kriegsfolgen ein LAG beschlossen. Auf diese Gesetzgebung wird auch aktuell weiterhin häufig verwiesen, als mögliches Vorbild für eine Sonderlast für Vermögende.
Der damalige Notstand geht von der Basis der Volkszählung auf dem Gebiet der Bundesrepublik von 1950 aus – wonach von den ca. 47,7 Mio. Einwohnern des Bundesgebietes ca. 9,6 Mio. erst während oder nach Beendigung des Krieges – zugewandert waren. Davon hatten ca. 7,9 Mio. den Status von Vertriebenen. Ebenfalls hatte sich die Bevölkerung auf dem Bundesgebiet nach Kriegsende bis 1950 um ungefähr 25 % erhöht, von denen der Hauptanteil Heimatvertriebene waren. Für diese Menschen, von denen die meisten ihr gesamtes Vermögen und ihre wirtschaftliche Existenz verloren hatten, galt es, vorwiegend das Überleben zu sichern, Wohnraum und Arbeit zu schaffen. Dabei wurde geschätzt, dass durch Zuwanderung und kriegsbedingten Verlust an Produktivitätskapazitäten "für etwa ein Drittel der Arbeitskräfte keine Arbeitsplätze vorhanden" waren (vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Stellungnahme v. 17.5.2021, S. 8).
Vor dem Hintergrund der Volkszählung aus dem Jahre 1950 und dem nunmehr anstehenden Zensus 2022 wird deutlich warum im politischen Raum Parallelen gezogen werden. Dabei soll der Zensus 2022 lediglich verlässliche Bevölkerungs- und Wohnungszahlen für Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und die Allgemeinheit liefern. Nicht jedoch soll der Zensus 2022 die statistische Grundlage für eine wie auch immer gearteten neuen Lastenausgleich liefern. Die Befragung dient vielmehr der Ermittlung der Einwohnerzahl sowie der Erhebung weiterer Merkmale.