Rz. 691
Sämtliche Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen müssen mindestens 2 Jahre vor und 20 Jahre nach der Entstehung der Steuer vorliegen (§ 13a Abs. 9 S. 4–6 ErbStG). Im Vergleich zu dem ursprünglichen Regierungsentwurf vom September wurde die vorlaufende Frist damit von 10 auf 2 Jahre und die nachlaufende Frist von 30 auf 20 Jahre verkürzt. Gleichwohl ist steuerliche Bindung über mindestens 22 Jahre übermäßig und unverhältnismäßig.
Rz. 692
Die Vorlauffrist von 2 Jahren gilt nach dem Wortlaut auch bei neu gegründeten Gesellschaften. Dies ist aber zumindest bei echten Neugründungen von Gesellschaften unverhältnismäßig; in solchen Fällen sollte es für den Vorab-Abschlag genügen, wenn die Beschränkungen seit Gründung bestanden haben. Bei Gesellschaften, die aufgrund einer Umwandlung oder Einbringung entstanden sind, ist eine Verkürzung der Frist nicht möglich. In die Frist von 2 Jahren ist allerdings die Zeit einzurechnen, wenn bereits bei der Vorgängergesellschaft entsprechende Beschränkungen galten.
Rz. 693
Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es bei jedem (auch nur einmaligem) Verstoß gegen die (rechtlichen und tatsächlichen) Entnahme-, Verfügungs- oder Abfindungsbeschränkungen zu einer Nachversteuerung. Auf Art und Umfang des Verstoßes kommt es nicht an. Ein "Verschulden" ist nicht erforderlich. Der Vorab-Abschlag fällt stets in voller Höhe weg. Ein zeitanteiliger Wegfall ist (anders als bei Verstößen gegen die Behaltensregelungen, § 13a Abs. 6 S. 2 ErbStG) nicht vorgesehen. Dies erscheint übermäßig. Im Einzelfall ist der Gesetzeswortlaut daher (unter Berücksichtigung von Schwere und Zeitpunkt des Verstoßes) teleologisch zu reduzieren.
Rz. 694
Die Bindungsfrist von insgesamt 22 Jahren ist zudem in keiner Weise mit den anderen Fristen im ErbStG abgestimmt (s. § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 2 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Nrn. 4b und 4c, § 13 Abs. 1 Nr. 16, § 14, § 27, § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG).
Rz. 695
Die Bindungsfrist widerspricht auch den steuerlichen Behaltefristen für den Erwerb von unternehmerischem Vermögen von 5 bzw. 7 Jahren. Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, warum der Erwerber noch nach Ablauf der Behaltefrist von 5 bzw. 7 Jahren für den Fortbestand der Beschränkungen im Gesellschaftsvertrag verantwortlich sein soll. Vielfach wird dies dem Erwerber auch gar nicht mehr möglich sein (z. B. weil er nach Ablauf der Behaltefrist aus dem Unternehmen ausgeschieden ist). Mangels Kenntnis des Erwerbers dürfte in diesen Fällen die Erfüllung der Anzeigepflichten unmöglich sein.
Rz. 696
Verfügungsbeschränkungen finden sich z. B. auch in Poolvereinbarungen (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 S. 2 ErbStG). Solche Poolvereinbarungen müssen gleichfalls nur im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (nicht schon davor) bestehen und dürfen dann während der Behaltefrist von 5 bzw. 7 Jahren nicht aufgehoben werden (§ 13a Abs. 6 S. 1 Nr. 5 ErbStG). Steuersystematisch ist es nicht zu rechtfertigen, dass für Beschränkungen in Gesellschaftsverträgen eine deutlich längere Bindung als für Poolverträge verlangt wird.
Rz. 697
Bei (Familien-)Gesellschaften werden typischerweise (zu unterschiedlichen Zeitpunkten) immer wieder einzelne Anteile im Wege der (vorweggenommenen) Erbfolge übertragen. Dies führt dazu, dass jedes Mal wieder eine neue Frist zu laufen beginnt. Die einzelnen Fristen überschneiden sich und führen faktisch dazu, dass die Beschränkungen im Gesellschaftsvertrag für immer (und nicht nur für 22 Jahre) bestehen bleiben müssen. Derartige Bindungen wären im Zivilrecht sittenwidrig und nichtig (s. § 138 BGB). Im Steuerrecht sind solche Bindungen unverhältnismäßig und verfassungswidrig.
Rz. 698–700
einstweilen frei