Rz. 188
Für den Steuererlass kommt es darauf an, ob der Erwerber die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen begleichen kann.
Rz. 189
Der Steuergesetzgeber geht dabei von einem neuen und eigenständigen Begriff des "verfügbaren Vermögens" aus. Die zivilrechtliche Möglichkeit, über Vermögen verfügen zu können (§ 185 BGB) ist demnach nicht maßgeblich.
Rz. 190
Der Gesetzeswortlaut deutet darauf hin, dass gesetzliche, behördliche oder vertragliche Verfügungsbeschränkungen auf das verfügbare Vermögen des Erwerbers keinen Einfluss haben. Dies wäre allerdings zu weitgehend. Vielmehr sind solche Verfügungsbeschränkungen im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung zu berücksichtigen.
Rz. 191
Gesetzliche und behördliche Verfügungsbeschränkungen (s. §§ 135, 136 BGB) führen dazu, dass von vornherein kein "verfügbares Vermögen" vorliegt.
Rz. 192
Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen (§ 137 BGB) zu berücksichtigen sind. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist es unerheblich, wenn der Erwerber nicht frei über das Vermögen verfügen kann, weil es z. B. in einer wirtschaftlichen Einheit des begünstigungsfähigen Vermögens gebunden ist.
Rz. 193
Dies ist insofern höchst problematisch, als Verfügungsbeschränkungen in Gesellschaftsverträgen dazu führen können, dass der einzelne Gesellschafter über seinen Anteil an der Gesellschaft nicht wirksam verfügen kann (§ 15 GmbHG, § 68 AktG und § 711 BGB). Ein Minderheitsgesellschafter hat in vielen Fällen keine Möglichkeit, über seinen Anteil an der Gesellschaft wirksam zu verfügen. Als bloßer Minderheitsgesellschafter ist er regelmäßig auch nicht in der Lage, die bestehende Verfügungsbeschränkung aufzuheben oder zu ändern. Dementsprechend ist zweifelhaft, ob ihm der Anteil als "verfügbares Vermögen" zugerechnet werden kann. Anders ist dies bei Allein- oder Mehrheitsgesellschaftern, die über ihre Anteile rechtlich und tatsächlich verfügen können oder dann, wenn die Anteile nach dem Gesellschaftsvertrag frei übertragbar sind.
Die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ist an dieser Stelle auch deswegen problematisch, da aufgrund der Gesetzessystematik die Norm lex specialis zu § 227 AO ist und daher keine weitere Erlassmöglichkeit gegeben ist. Hinzu kommt, dass die Stundungsmöglichkeiten beschränkt sind.
Rz. 194
Ebenfalls fraglich ist, ob die Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge dazu führen kann, dass kein verfügbares Vermögen vorliegt. Dogmatisch betrachtet kann das Vermögen eines Vorerben, dass der Nacherbfolge unterliegt (§§ 2100 ff. BGB) nur insoweit zum "verfügbaren Vermögen" (§ 28a Abs. 2 ErbStG) gerechnet werden, als der Vorerbe darüber wirksam verfügen kann (s. §§ 2113 ff. BGB). Andernfalls verfügt der Vorerbe über kein Vermögen, mit dem die Erbschaft- und Schenkungsteuer beglichen werden kann. Nicht abschließend geklärt ist, ob die Regelung zur Steuerschuldnerschaft des Vorerben (§ 20 Abs. 4 ErbStG) hieran etwas ändert. Jülicher (in, Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 28a Rz. 11) schlussfolgert hieraus, dass die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft unerheblich für die Einordnung als verfügbares Vermögen ist, da aus § 20 Abs. 4 ErbstG und auch § 2126 BGB folge, dass der Nachlass zu Lasten des Nacherben für die Steuer hafte.
Rz. 195
Auch eine Testamentsvollstreckung kann zivilrechtlich die Verfügbarkeit ausschließen: Ein Erbe kann über den Nachlass nicht verfügen, soweit der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet hat (§§ 2197 ff. BGB). Die Verfügungsbefugnis steht allein dem Testamentsvollstrecker zu (§ 2205 BGB). Auch in diesem Fall ist daher fraglich, ob das mit der Testamentsvollstreckung belastete Vermögen vom Erben zur Begleichung der Steuer verwendet werden kann.
Rz. 196
Lediglich formale Verfügungsbeschränkungen führen dagegen nicht dazu, dass kein "verfügbares Vermögen" des Erwerbers vorliegt. Dies gilt beispielsweise für die Beschränkung der Verfügung über Wohnungs- und Teileigentumseinheiten (§§ 12, 35 WEG) oder Erbbaurechte (§ 5 ErbbauRG). In diesen Fällen muss die erforderliche Zustimmung im Regelfall erteilt werden (und wird auch tatsächlich meist erteilt).
Rz. 197
Eine weitere problematisch Fallgruppe ist das an Kreditgläubiger sichererungsübereignete oder verpfändete Vermögen. Im Erbfall könnte dieses als verfügbares Vermögen einzustufen sein; tritt der Sicherungsfall später ein, müsste diese Einordnung wieder revidiert werden.
Rz. 198
Der Berücksichtigung von Verfügungsbeschränkungen bei dem Begriff des "verfügbaren Vermögens" steht nicht entgegen, dass diese bei der Ermittlung des gemeinen Werts unberücksichtigt bleiben (§ 9 Abs. 3 BewG). Die Ermittlung des verfügbaren Vermögens ist vorrangig vor dessen Bewertung. Verschonung und Bewertung sind zu trennen.
Rz. 199–205
einstweilen frei