Rz. 257
Der Steuererlass (§ 28a Abs. 1 S. 1 ErbStG) steht schließlich unter der (weiteren) auflösenden Bedingung, dass der Erwerber innerhalb von 10 Jahren nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) weiteres Vermögen durch Schenkung oder von Todes wegen erhält, das verfügbare Vermögen (§ 28a Abs. 2 ErbStG) darstellt (§ 28a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 S. 1 ErbStG). Der Erwerber kann dann erneut einen Antrag auf Steuererlass stellen (§ 28a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 S. 2 ErbStG). Das verfügbare Vermögen ist dabei um 50 % des gemeinen Werts des Weiteren, erworbenen Vermögens zu erhöhen (§ 28a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 S. 3 ErbStG).
Rz. 258
Der Gesetzgeber will mit dieser Regelung offenbar einer Aufspaltung von einheitlichen Erwerbsvorgängen entgegenwirken. Es soll verhindert werden, dass der Schenker dem Erwerber zunächst begünstigtes Vermögen überträgt und der Erwerber dafür (mangels verfügbarem Vermögen) einen Steuererlass beantragen kann. Das nicht begünstigte Vermögen könnte der Schenker dem Erwerber dann erst zu einem späteren Zeitpunkt übertragen, sodass es bei der Verschonungsbedarfsprüfung nicht zu berücksichtigen ist. Durch die Zusammenrechnung von allen Erwerben innerhalb von 10 Jahren soll eine Einflussnahme auf das verfügbare Vermögen des Erwerbers erschwert werden. Diese Zielsetzung des Gesetzgebers ist im Grundsatz durchaus anzuerkennen. Allerdings ist die Regelung viel zu weitgehend und völlig unverhältnismäßig.
Rz. 259
Die Regelung des steuerschädlichen Nacherwerbs (in § 28a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 ErbStG) erfasst sämtliche Erwerbe von Todes wegen (§ 3 ErbStG) und Schenkungen unter Lebenden (§ 7 ErbStG). Das Gesetz sieht keinerlei Ausnahmen vor. Nach dem Gesetzeswortlaut ist auch der Erwerb von Hausrat oder von üblichen Gelegenheitsgeschenken erfasst. Die FinVerw hat aus Vereinfachungsgründen, s. R E 28a.4 Abs. 2 S. 3 ErbStR 2019, Einschränkungen für übliche Gelegenheitsgeschenke vorgesehen: "Aus Vereinfachungsgründen sind übliche Gelegenheitsgeschenke im Sinne des § 13 Absatz 1 Nummer 14 ErbStG unbeachtlich." Problematisch hieran ist, dass nicht geklärt ist, was unter einem "üblichen Gelgenheitsgeschenk" zu verstehen ist. Dies ist insbesondere aufgrund der Strafbewehrtheit der Norm höchst bedenklich. Ein Erwerb im Rahmen der Freibeträge (§ 16 ErbStG) ist gleichfalls in vollem Umfang zu berücksichtigen.
Nicht erfasst wird jedoch ein Erwerb, der nicht auf einem Erbfall oder eine Schenkung beruht; z. B. aufgrund eines Lottogewinns. Diese Einschränkung gilt weiterhin für (entgeltliche) Vermögensübertragungen im Rahmen einer Güterstandschaukel oder um (satzungsgemäße) Ausschüttungen einer (in- oder ausländischen) Familienstiftung an ihre Destinatäre.
Rz. 260
Handelt es sich bei dem (ursprünglichen) Erwerber um eine Stiftung, gehören spätere Zustiftungen zum steuerschädlichen Nacherwerb (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 ErbStG sowie § 7 Abs. 1 Nrn. 1 und 8 ErbStG). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zustiftung vom Stifter, dem Schenker oder einem Dritten stammt. Dies gilt (trotz § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG) auch bei steuerbegünstigten Stiftungen, die einen Steuererlass (nach § 28a ErbStG) in Anspruch genommen haben.
Rz. 261
Der Erwerber muss dem zuständigen FA jeden Erwerb innerhalb eines Monats schriftlich anzeigen (§ 28a Abs. 5 S. 2 ff. ErbStG).
Rz. 262
Steuerschädlich sind nicht nur Erwerbe von dem ursprünglichen Erblasser bzw. Schenker, sondern auch von (fremden) Dritten. Die Regelung weicht damit von anerkannten Prinzipien des deutschen ErbStG ab, wonach für eine Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe stets auf einen Erwerb "von derselben Person" abgestellt wird (§ 13a Abs. 1 S. 2, § 13a Abs. 2 S. 3 und § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG). Die Einbeziehung jeglichen Nacherwerbs (gleich von wem) ist steuersystematisch nicht überzeugend und auch sachlich nicht zu rechtfertigen. Für einen Erwerber ist damit die Annahme von jeglichen Erbschaften und Schenkungen auf die Dauer von 10 Jahren faktisch nur eingeschränkt möglich, sofern er den Steuererlass nicht nachträglich gefährden will. Dies schränkt die Testier- und Vertragsfreiheit in unzulässiger Weise ein.
Rz. 263
Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es darauf an, dass der Erwerber weiteres Vermögen durch Schenkung oder von Todes wegen "erhält" (§ 28a Abs. 4 S. 1 Nr. 3 S. 1 ErbStG). Der sonstige Sprachgebrauch des ErbStG hätte es nahegelegt, insoweit von "erwerben" (s. z. B. § 10 Abs. 1 S. 1 ErbStG: "steuerpflichtiger Erwerb") und nicht von "erhalten" zu sprechen. Inhaltlich dürfte damit aber kein Unterschied verbunden sein. Steuerschädlich ist immer nur ein Erwerb i. S. d. ErbStG (s. auch die Bezugnahme auf § 9 ErbStG).
Rz. 264
Der Erwerb muss dazu führen, dass dem Erwerber weiteres verfügbares Vermögen gehört. Ein steuerschädlicher Nacherwerb liegt nur dann vor, wenn es bei dem Erwerber tatsächlich zu einem Vermögenszuwachs und damit zu einer Steigerung der steuerlichen Leistungsfähigkeit kommt.
Rz. 265
Bei einem Nacherwerb erhöht sich das verfügbare ...