Rz. 20
Ein Rückforderungsrecht i. S. d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG kann sich im Einzelfall – insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen – auch aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ergeben. Die Rechtsprechung der Zivilgerichte bejaht die grundsätzliche Anwendbarkeit der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage für Erwartungen und Vorstellungen, die außerhalb der Sondervorschriften der §§ 527 ff. BGB liegen. Die Geschäftsgrundlage wird durch die Umstände gebildet, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind. Zur subjektiven Geschäftsgrundlage gehören die bei Vertragsabschluss zutage tretenden, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragsteils oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien vom Vorhandensein oder vom künftigen Eintritt gewisser Umstände. Hierbei ist vorausgesetzt, dass sich der Geschäftswille auf diese Vorstellungen aufbaut.
Rz. 21
Im Gegensatz zu einer Auflage, einer vertraglichen Vereinbarung eines Rückforderungsrecht oder einer auflösenden Bedingung ist die Geschäftsgrundlage nicht Inhalt des Vertrags, da sie die außerhalb dieses Vertrags stehende Grundlage betrifft.
Rz. 22
Der Wegfall der Geschäftsgrundlage führt allerdings regelmäßig nur zur Anpassung der Vertragsleistungen an die veränderte Sachlage und keinesfalls zwingend zum Rückforderungsrecht des Schenkers. Ein nach § 29 ErbStG beachtliches Rückforderungsrecht kann daher nur angenommen werden, wenn eine Vertragsanpassung nach den Gegebenheiten des Einzelfalls nicht in Betracht kommt. Dabei kann sich auf die Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG begünstigend auswirken, dass § 313 Abs. 2 BGB das ursprüngliche Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage als Grundlage einer Rückabwicklung ausdrücklich anerkennt. Die BGH-Rspr. bejaht nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Rückforderungsansprüche der Schwiegereltern gegen das Schwiegerkind nach Scheitern der Ehe.
Rz. 23
Auch bei unerwarteten steuerlichen Folgen einer Schenkung hat der Wegfall der Geschäftsgrundlage praktische Bedeutung. Die Vorstellungen der an der Zuwendung Beteiligten über die steuerlichen Folgen (insb. der Höhe der Schenkungsteuer) können Geschäftsgrundlage sein. Dies setzt voraus, dass der konkrete Geschäftswille der Parteien auf einem gemeinsamen Irrtum über die steuerlichen Folgen der Schenkung beruht und die Aufdeckung des Irrtums die wirtschaftlichen Daten wesentlich verändert. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage scheidet in jedem Fall dann aus, wenn sich die Parteien bei Abschluss des Schenkungsvertrags keine Gedanken über die Schenkungsteuer gemacht hatten. Der Umstand, dass dem Beschenkten die aus dem Geschenk gezogenen Nutzungsvorteile belassen werden, steht der Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht entgegen; insoweit ergeben sich lediglich Auswirkungen gem. § 29 Abs. 2 ErbStG auf die Höhe der zu erstattenden Steuer.
Rz. 24
Die Feststellungslast für den Inhalt der Geschäftsgrundlage und deren behaupteten Wegfall trifft den ursprünglichen Erwerber. Der Nachweis kann leicht geführt werden, wenn ein entsprechendes zivilgerichtliches Urteil vorliegt. Zu derartigen Rechtsstreiten wird es jedoch vor allem bei Schenkungen im familiären Umfeld nicht häufig kommen, sodass sich u. a. erhebliche Beweisschwierigkeiten ergeben können.
Der Nachweis, dass im Einzelfall ein Rückforderungsrecht wegen Fehlens oder Wegfall der Geschäftsgrundlage bestand, ist mit erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Unsicherheiten belastet. Es ist deshalb ratsam, bezüglich der jeweiligen "Geschäftsgrundlage" der Schenkung einen entsprechenden Widerrufsvorbehalt oder eine Rücktrittsklausel entweder in den Schenkungsvertrag aufzunehmen oder die als Geschäftsgrundlage angenommenen steuerlichen Folgen jedenfalls in einem "side letter" zur Schenkungsurkunde ausdrücklich zu benennen. Ein derartiger Rücktritts- oder Widerrufsvorbehalt vermeidet die Steuerpflicht der Rückschenkung für den Fall, dass die FinVerw einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht anerkennen sollte.
Rz. 25
Soweit Nießbrauchsverträge wegen der geänderten einkommensteuerrechtlichen Rechtslage durch Verzicht des Nutzungsberechtigten gegenüber dem Verpflichteten beendet werden, verneint die FinVerw einen Wegfall der Geschäftsgrundlage.
Rz. 26–39
einstweilen frei