Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 543
§ 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG regelt die Besteuerung der Abfindungen, die als Surrogate an die Stelle des Erwerbs nach § 3 Abs. 1 ErbStG treten. Dies kommt namentlich durch den durch das ErbStRG vom 24.12.2008 am Ende der Vorschrift aufgenommenen Auffangtatbestand ("anstelle eines anderen in Abs. 1 genannten Erwerbs") zum Ausdruck. Nach der früheren Rechtslage erklärte die Vorschrift einzelne Fälle der Abfindungsleistung zu steuerpflichtigen Vorgängen, ohne eine Gesamtregelung anzustreben. Die dadurch auftretenden Besteuerungslücken wurden als unbefriedigend empfunden. Dem hat der Gesetzgeber nunmehr abgeholfen. Die Bedeutung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG besteht darin, den Erwerbsvorgang des § 3 Abs. 1 ErbStG zu verlängern und den Erwerb von Todes wegen auf Rechtsgeschäfte unter Lebenden zu erstrecken, die lediglich in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem Erwerb von Todes wegen stehen. Durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz (StUmgBG) vom 23.6.2017 wurde der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG erweitert. Dabei erfasst § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG nicht mehr nur solche Sachverhalte, bei denen eine Erbschaft vollständig ausgeschlagen wurde bzw. der erbrechtliche Erwerb durch Verzicht oder anderweitige Erklärung zurückgewiesen wurde. Es sollen nunmehr auch solche Sachverhalte, in denen eine Abfindung dafür gewährt wurde, dass eine Rechtsstellung, insbesondere eine Erbenstellung, ein Recht oder ein Anspruch, der zu einem künftigen Erwerb nach § 3 Abs. 1 ErbStG führen würde, nicht oder nur noch teilweise geltend gemacht wird, erfasst werden. Damit unterfallen der Nr. 4 auch solche Abfindungen, die dafür geleistet werden, dass die Erbenstellung eines anderen nicht mehr bestritten wird. Dies erscheint sachgerecht, da der Abfindungsberechtigte – wie in der Grundkonstellation – anlässlich eines Todesfalls durch den verbleibenden Erben bereichert wird. Hintergrund der Erweiterung des Anwendungsbereichs war eine Besteuerungslücke in dem Fall, in dem die Abfindungszahlung nicht ihren Rechtsgrund im Erbrecht hatte. Solche Abfindungszahlungen unterlagen nach Auffassung des BFH nicht dem Steuertatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG , die Abfindungszahlung konnte der Erbe jedoch als abziehbare Nachlassverbindlichkeit geltend machen. Anwendung findet die Neuregelung für Erwerbstatbestände nach dem 24.6.2017. Außerhalb des Anwendungsbereichs liegen konsequenterweise aber weiterhin solche Abfindungen, die an den künftigen gesetzlichen Erben für den Verzicht auf einen Pflichtteilsanspruch gezahlt wurden, da der Erbfall schlicht noch nicht eingetreten ist. Unter Umständen liegt aber eine steuerbare freigiebige Zuwendung des künftigen Erben an den Abfindungsempfänger vor. Die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an einen anderen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, richtet sich – in Abkehr zur bisherigen Rspr. – nach den zwischen den Erben maßgebenden Steuerklasse.
Rz. 544
§ 3 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1 ErbStG regelt zunächst die Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch. Nach § 2317 Abs. 1 BGB entsteht der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall. Andererseits ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG erst ein geltend gemachter Pflichtteilsanspruch steuerbar. Solange der Pflichtteilsanspruch erbschaftsteuerrechtlich mangels Geltendmachung noch nicht steuerbar ist, kann der Pflichtteilsberechtigte darauf ohne erbschaftsteuerrechtliche Konsequenzen verzichten (Rz. 417). Der unentgeltliche Verzicht ist beim Verzichtenden ebenso folgenlos wie die unentgeltliche Ausschlagung einer Erbschaft bzw. eines Vermächtnisses. Erfolgt der Verzicht vor Geltendmachung gegen Abfindung, ist die Abfindung nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1 ErbStG steuerbar. Wenn allerdings erst nach Geltendmachung des Anspruchs gegen Abfindung verzichtet wird, bleibt es bei der Steuerbarkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG. Die Abfindung ist schenkungsteuerrechtlich irrelevant, solange die Abfindung wertmäßig dem Wert des Anspruchs entspricht. Im Aushandeln einer Abfindung kann nicht bereits das Geltendmachen eines Pflichtteils gesehen werden.
Rz. 545
Wird für die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses eine Abfindung gewährt, folgt die Besteuerungslücke in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 und 2 ErbStG daraus, dass das ErbStG an die zivilrechtliche Rückwirkung der Ausschlagung anknüpft. Damit bleibt der zurückgewiesene Erwerb für den Ausschlagenden zunächst unversteuert. Wird als Surrogat dem Ausschlagenden eine Abfindung gewährt, ist diese nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 2 bzw. 4 ErbStG steuerbar. Der Nacherbe wird nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1 ErbStG steuerpflichtig, wenn er vor Eintritt des Nacherbenfalls sein Nacherbenrecht gegen Abfindung ausschlägt, was gem. § 2142 Abs. 1 BGB schon vor Eintritt des Nacherbfalls zulässig ist. Eine Ausschlagung der Erbschaft oder des Vermächtnisses ist nicht mehr möglich, wenn diese angenommen wurden (R...