Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 300
Ein Vermächtnis liegt vor, wenn der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen einem anderen einen Vermögensvorteil zuwendet, ohne ihn als Erben einzusetzen. Das Gesetz gewährt dem Begünstigten bzw. dem Vermächtnisnehmer einen Anspruch gegen den Beschwerten auf Leistung des vermachten Gegenstands. Der Gesetzgeber hat sich damit für das sog. Damnationslegat und gegen das sog. Vindikationslegat ausgesprochen. Der vermachte Gegenstand geht also nicht bereits im Entstehenszeitpunkt mit dinglicher Wirkung unmittelbar auf den Vermächtnisnehmer über, sondern muss erst durch Rechtsgeschäft unter Lebenden vom Beschwerten auf den Vermächtnisnehmer übertragen werden. Die Entscheidung gegen das Vindikationslegat beruht vor allen Dingen darauf, dass der Gesetzgeber eine Benachteiligung der Nachlassgläubiger vermeiden wollte. Mit einem Vermächtnis kann nicht nur ein Erbe, sondern auch ein Vermächtnisnehmer beschwert sein. Wenn ein Vermächtnisnehmer wiederum mit einem Vermächtnis beschwert ist, spricht man von einem sog. Untervermächtnis.
Rz. 301
Das Vermächtnis begründet ein einseitiges Schuldverhältnis zulasten des Beschwerten. Zwar fordert § 1939 BGB die Zuwendung eines Vermögensvorteils, doch wird der Begriff in der Praxis in einem sehr weiten Sinne aufgefasst. Ein Bereicherungswille ist nicht erforderlich. Notwendig ist allerdings die Zuweisung eines Anspruchs. Daraus folgt für das sog. Kaufrechtsvermächtnis, dass dessen Gegenstand auch ein aufschiebend bedingtes Sachvermächtnis in der Form eines Ankaufsrechts für den Vermächtnisnehmer sein kann, der unmittelbar die Übertragung des entsprechenden Nachlassgegenstands fordern kann. Alternativ kann ein Kaufrechtsvermächtnis auch so gestaltet werden, dass dem Vermächtnisnehmer ein Recht eingeräumt wird, mit dem Beschwerten einen schuldrechtlichen Vertrag (Kaufvertrag) über die Sache zu festgelegten Konditionen abzuschließen. Beim Kaufrechtsvermächtnis kann den Berechtigten eine synallagmatische Gegenleistungspflicht treffen, sodass es letztlich an einer Bereicherung des Vermächtnisnehmers bzw. an einem Bereicherungswillen des Erblassers fehlt. Anders liegt es, wenn im Rahmen eines Kaufrechtsvermächtnisses dem Vermächtnisnehmer das Recht eingeräumt wird, den zugewendeten Gegenstand zu einem unterhalb des Verkehrswerts liegenden Preis zu erwerben. Beim sog. Übernahmevermächtnis verhält es sich so, dass dem Übernahmerecht des Berechtigten keine synallagmatische Gegenleistungspflicht gegenübersteht; es kann entweder unentgeltlich oder gegen Auflagen erfolgen. Durch Erbvertrag kann ein Vermächtnis bindend und im gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich angeordnet werden. Kraft Gesetzes bestehen 2 Vermächtnisse, nämlich der Voraus des überlebenden Ehegatten und der 30., die beide von § 3 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG erfasst werden (Rz. 436).
Rz. 302
Der Anspruch des Vermächtnisnehmers entsteht – unbeschadet des Rechts, das Vermächtnis auszuschlagen – mit dem Erbfall. Das Gesetz spricht vom Anfall des Vermächtnisses. Bei aufschiebend bedingten oder befristeten Vermächtnissen erfolgt der Anfall erst mit Eintritt der Bedingung oder des Zeitpunkts, bei einer noch nicht gezeugten Person erst mit deren Geburt und bei einer nach dem Erbfall durch ein Ereignis bestimmten Person, erst mit dieser Bestimmung.
Rz. 303
§ 2176 BGB trifft keine Aussage zur Fälligkeit des Anspruchs, weswegen die allgemeine Regel gilt, dass der Vermächtnisnehmer die Leistung sofort verlangen kann, soweit der Erblasser keine abweichende Anordnung getroffen hat. Für den Sonderfall eines Untervermächtnisses gilt, dass der gegen den Hauptvermächtnisnehmer gerichtete Anspruch nicht fällig wird, bevor dieser die Erfüllung des ihm zugewendeten Vermächtnisses verlangen kann. Wenn nach Anfall des Vermächtnisses dessen Erfüllungszeit in die freie Willkür des Beschwerten gelegt ist, so tritt die Fälligkeit im Zweifel erst mit dem Tod des Beschwerten ein. Der Anspruch des Vermächtnisnehmers verjährt spätestens in 30 Jahren.
Rz. 304
Der Vermächtnisnehmer kann den Anfall des Vermächtnisses durch Ausschlagung mit Rückwirkung auf den Erbfall beseitigen, solange er die Zuwendung noch nicht angenommen hat. Abweichend von der Ausschlagung eines Erbrechts kennt das Gesetz dabei keine Ausschlagungsfrist. Annahme und Ausschlagung haben nicht, wie bei der Erbausschlagung, gegenüber dem Nachlassgericht, sondern durch formlose Erklärung gegenüber dem Beschwerten zu erfolgen.