Prof. Dr. Michael Fischer
4.1 Erbrechtliche Grundlagen
Rz. 400
Die Testierfreiheit gestattet es dem Erblasser, nahe Familienangehörige (Kinder, Eltern) oder den Ehegatten von der Erbfolge auszuschließen. § 1938 BGB bestätigt, dass der Erblasser auch einzelne gesetzliche Erben enterben und es ansonsten bei der gesetzlichen Erbfolge belassen kann. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass sich die Enterbung nicht auf Abkömmlinge des Enterbten bezieht. Um einen eng umgrenzten Personenkreis eine Mindestbeteiligung am Wert des Nachlasses zu sichern, sieht das Erbrecht ein sog. Pflichtteilsrecht vor. Zum Personenkreis der Pflichtteilsberechtigten gehören die Abkömmlinge des Erblassers, seine Eltern und der Ehegatte oder Lebenspartner. Das Pflichtteilsrecht der entfernteren Abkömmlinge und Eltern kommt nicht zum Zug, wenn ein näherer Abkömmling pflichtteilsberechtigt ist, der den entfernteren Abkömmlingen bzw. die Eltern von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde. Das geltende Pflichtteilsrecht ist nicht nur verfassungskonform, sondern im Kern auch durch die Verfassung gewährleistet. Das BVerfG hat bezogen auf das Pflichtteilsrecht der Kinder des Erblassers festgestellt, dass die unentziehbare und bedarfsunabhängige Mindestbeteiligung der Erblasserkinder am Nachlass zu einem der Kernelemente des deutschen Erbrechts gehöre und damit auch unter den Schutz des Erbrechts i. S. d. Art. 14 GG falle.
Rz. 401
Die wichtigste Rechtsfolge des Pflichtteilsrechts ist der Pflichtteilsanspruch, der in der Person des enterbten Pflichtteilsberechtigten als Zahlungsanspruch mit dem Erbfall gegen den bzw. die Erben entsteht und eine Nachlassverbindlichkeit i. S. d. § 1967 BGB darstellt. Der Pflichtteilsberechtigte ist also nicht in Form eines sog. Noterbrechts dinglich am Nachlass beteiligt. Anspruchsgegner ist im Außenverhältnis der Alleinerbe bzw. die Miterben als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis ist allerdings derjenige Miterbe belastet, der anstelle des Pflichtteilsberechtigten gesetzlicher oder testamentarischer Erbe geworden ist. Hat z. B. der Erblasser das gesetzliche Erbrecht seiner beiden Söhne beibehalten und an die Stelle seiner Tochter deren Kinder eingesetzt, so haben im Innenverhältnis diese den Pflichtteilsanspruch der enterbten Tochter alleine zu tragen.
Rz. 402
Der Pflichtteilsanspruch richtet sich der Höhe nach auf die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Es ist also zunächst die gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser zu ermitteln. Dabei sind gesetzliche Erben, die enterbt wurden, die Erbschaft ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt wurden, zu berücksichtigen. Unberücksichtigt bleibt allerdings der gesetzliche Erbe, der einen Erbverzicht vereinbart hat. Der Erbverzicht ist vom Pflichtteilsverzicht bzw. einem Verzicht unter Vorbehalt des Pflichtteils zu unterscheiden und führt dazu, dass sich die Pflichtteilsansprüche der anderen Berechtigten erhöhen. Der Pflichtteilsanspruch ist vererblich und übertragbar.
Rz. 403
Erreicht die einem Pflichtteilsberechtigten durch Verfügung von Todes wegen eingeräumte Zuwendung nicht die Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils, so besteht nach den §§ 2305, 2307 BGB ein sog. Pflichtteilsrestanspruch. Der Pflichtteilsrestanspruch und der Pflichtteilsanspruch sind in ihrem Bestand allerdings voneinander unabhängig. Der Pflichtteilsrestanspruch steht einem Angehörigen des Erblassers zu, wenn er zum Kreis der in § 2303 Abs. 1 und 2 BGB genannten Personen zählt und im Falle seiner Enterbung pflichtteilsberechtigt wäre. Er setzt aber nicht voraus, dass ihm der Pflichtteilsanspruch auch tatsächlich zusteht.
Rz. 404
Zur Berechnung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs muss der Nachlasswert mit der Pflichtteilsquote zum Zeitpunkt des Erbfalls multipliziert werden. Der Nachlasswert ist nach den §§ 2311–2313 BGB zu ermitteln. Maßgebend ist grundsätzlich der Verkehrswert. Gesellschaftsrechtliche Abfindungsbeschränkungsklauseln für den Fall eines Ausscheidens des Gesellschafters bleiben unberücksichtigt. Zu den Verbindlichkeiten gehören Erblasserschulden und die meisten Erbfallschulden, wie Beerdigungskosten und die Kosten der Nachlassverwaltung. Im Hinblick auf die Bewertung des Nachlasses dürfen künftige Ertragsteuerbelastungen der Erben, die sich im Hinblick auf die im Nachlassvermögen enthaltenen stillen Reserven ergeben können, nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. Dies schließt aber nach zutreffender Ansicht nicht aus, dass die entsprechende steuerlatente Ertragsteuerbelastung bereits bei der Unternehmensbewertung nach § 2311 BGB berücksichtigt wird. Bei der Berechnung des Pflichtteils eines Abkömmlings und der Eltern des Erblassers wird nur der Voraus vom Nachlasswert abgezogen, während Auflagen und testamentarische sowie gesetzliche Vermächtnisse bei der Berechnung des Pflichtteils unberücksichtigt bleiben (§ 2311 Abs. 1 S. 2 BGB).
Rz. 405
Soweit dem Pflichtteilsberechtigten von dem Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden etwas mit der Besti...