Prof. Dr. Michael Fischer
Rz. 40
Abweichend vom Erbrecht, wonach der Pflichtteilsanspruch mit dem Tod des Erblassers entsteht, sieht bereits § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 ErbStG den Anspruch so lange als nicht vorhanden an, als er nicht geltend gemacht wird. Daran anknüpfend bestimmt § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG, dass die Steuer in diesem Fall auch erst mit der Geltendmachung des Pflichtteils entsteht. Erbschaftsteuerrechtlich ist damit der Tatbestand der "Geltendmachung" des Pflichtteils von ganz entscheidender Bedeutung.
Rz. 41
Dies betrifft namentlich auch Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf einen Verzicht. Soweit der Pflichtteilsanspruch erbschaftsteuerrechtlich mangels Geltendmachung noch nicht entstanden ist, kann der Pflichtteilsberechtigte darauf verzichten. Steuerrechtlich hat dies dieselbe Wirkung wie die unentgeltliche Ausschlagung einer Erbschaft bzw. eines Vermächtnisses, ist also irrelevant.
Rz. 42
Anders ist die Rechtslage, wenn der Pflichtteilsanspruch bereits geltend gemacht worden ist und erst dann auf den Anspruch verzichtet wird. Erfolgt hier der Verzicht unentgeltlich, kann der Vorgang eine freigebige Zuwendung unter Lebenden nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG darstellen, wobei die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG nicht einschlägig ist. Es kommt also zu einer 2-fachen Besteuerung, da die Steuer auf den Pflichtteil bereits entstanden ist. Soweit sich der Erbe und der Pflichtteilsberechtigte über die Höhe des Pflichtteils ernsthaft streiten und im Vergleichswege auf einen niedrigeren als den tatsächlichen Wert kommen, ist dieser der Besteuerung zugrunde zu legen. Erfolgt der Verzicht nach Geltendmachen des Anspruchs gegen eine Abfindung, bleibt es bei der Steuerbarkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG. Die Abfindung ist schenkungsteuerrechtlich irrelevant, solange sie wertmäßig dem Wert des Anspruchs entspricht.
Rz. 43
Unter "Geltendmachen" ist das ernstliche Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verstehen. Dabei muss der Pflichtteilsberechtigte seinen Entschluss, die Erfüllung des Pflichtteils zu verlangen, gegenüber dem Erben in geeigneter Weise bekunden. Im Aushandeln einer Abfindung kann nicht bereits das Geltendmachen eines Pflichtteils gesehen werden. Allerdings setzt die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht die Bezifferung des Anspruchs voraus.
Ein Auskunftsverlangen bzw. eine Auskunftsklage gegenüber dem bzw. den Erben unter dem Vorbehalt, den Pflichtteil geltend zu machen, stellt noch keine "Geltendmachung" des Pflichtteils dar. Wird demgegenüber eine Stufenklage eingereicht, die zunächst auf Auskunft gerichtet ist und bei der der Leistungsanspruch erst später beziffert wird, ist dies bereits als Geltendmachung einzuordnen. Aus Sicht des Erbschaftsteuerrechts ist deshalb von einer Erhebung einer Stufenklage abzuraten, um sich steuerrechtlich alle Möglichkeiten offenzuhalten. Andererseits ist aus zivilrechtlicher Sicht auf die Verjährungsfristen zu achten, da die reine Auskunftsklage abweichend von der Stufenklage die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nicht hemmt.
Rz. 44
Bislang nicht grundsätzlich entschieden ist, inwieweit in Abtretung eines Pflichtteilanspruchs, die nach § 2317 Abs. 1 BGB zulässig ist, eine "Geltendmachung" gesehen werden kann. Das Hessische FG geht davon aus, dass die Abtretung allein noch keine Geltendmachung sei, sondern erst dann vorliege, wenn der neue Gläubiger den Anspruch gegen den Erben geltend mache. Der Sichtweise des Hessischen FG wird wiederum zutreffend entgegengehalten, dass das Erfüllungsverlangen des Zessionars dem Zedenten nicht zugerechnet werden könne. Deshalb entsteht der Steueranspruch erst mit der Zahlung an den Zessionar, da der Zedent sich die Auszahlung spätestens zurechnen lassen muss. Demgegenüber hat der BFH mit Urteil vom 7.12.2016 entschieden, dass ein vom Erblasser selbst nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch zum Nachlass des Erben gehört und bei ihm der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt. Auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Erben soll es nicht ankommen. Der BFH begründet dies mit § 2317 Abs. 1 BGB, wonach der Pflichtteilsanspruch bereits mit dem (1.) Erbfall als Vollrecht entsteht und von da an zivilrechtlich zum Vermögen des (ursprünglich) Pflichtteilsberechtigten gehört. Nach Ansicht des Senats liege bei einem derivativen Erwerb des Pflichtteilsanspruchs zudem keine dem originären Erwerb vergleichbare Beschränkung der Entschliessungsfreiheit vor, sodass § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG nicht anzuwenden sei. Sinn und Zweck dieser Norm sei es, dem Pflichtteilsberechtigten die Entscheidung zu überlassen, ob er seinen Pflichtteilsanspruch trotz der von § 2303 BGB vorausgesetzten familiären Verbundenheit zum Erblasser gegen die Erben durchsetzen will. Ein vergleichbares Näheverhältnis des Erben zum Verpflichteten beim derivativ erworbenen Pflichtteilsanspruch sei hingegen unerheblich. Im Ergebnis m...