Prof. Dr. Michael Fischer
3.3.1 Allgemeines
Rz. 120
Abweichend von der Regelungstechnik beim Erwerb von Todes wegen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit den Ausnahmeregelungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a–i ErbStG führt § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG bei Schenkungen unter Lebenden keinen vergleichbaren ergänzenden Ausnahmekatalog auf. Hannes/Holtz begründen dies damit, dass das Gesetz mit der Ausführung bereits das am spätesten mögliche Datum gewählt habe, doch trifft dies nicht uneingeschränkt zu, wenn eine Schenkung aufschiebend bedingt, befristet oder betagt erfolgt. Deswegen ist es bedeutsam, dass nach Ansicht des BFH die Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG auch bei Schenkungen unter einer aufschiebenden Bedingung anwendbar ist. Die eigenständige Regelung der Steuerentstehung bei Schenkungen unter Lebenden in § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG war allein deshalb erforderlich, weil die Steuerentstehung anders als regelmäßig beim Erwerb von Todes wegen nicht an den Tod des bisherigen Vermögensinhabers anknüpfen kann. Daraus folge aber nach Meinung des BFH nicht, dass ihr die Bedeutung einer lex specialis gegenüber § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG zukomme. Bei Schenkungen können sich dieselben Problemlagen ergeben, wie sie in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG angesprochen sind. Für diese Problemlagen enthalte § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG die speziellere Regelung gegenüber der Nr. 2 der Vorschrift, die i. V. m. § 1 Abs. 2 ErbStG dieser Nr. 2 vorgeht. Denn nach § 1 Abs. 2 ErbStG gelten die Vorschriften über die Erwerbe von Todes wegen, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch für Schenkungen unter Lebenden. Dieses Gesetzesverständnis liegt im Übrigen auch § 7 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG zugrunde, indem er Abfindungen für aufschiebend bedingt, betagt oder befristet erworbene Ansprüche, die vor dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses gewährt werden, als Schenkungen unter Lebenden behandelt.
3.3.2 Schenkung unter Auflage (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG)
Rz. 121
§ 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG regelt bei der Schenkung unter Auflage die Besteuerung des Auflagenbegünstigten. Die Steuer entsteht mit Vollziehung der Auflage. Allerdings wird der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG in Bezug auf die Besteuerung der Zweitschenkung durch den BFH eingeschränkt, weil sich die Steuerpflicht des Auflagenbegünstigten bereits aus § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ergeben soll, wenn er aus der Anordnung des Schenkers einen gesicherten und frei verfügbaren Anspruch auf Vollzug der Auflage gegen den Erstbeschenkten erhält. Nach den einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen ist dies im Zweifel anzunehmen. Die Schenkung an den Auflagebegünstigten ist dann bereits mit Begründung des Forderungsrechts ausgeführt i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. Damit beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG auf die Konstellation, dass der auflagebegünstigte Dritte aus der Auflagenanordnung ausnahmsweise nicht unmittelbar selbstständig berechtigt ist. Liegt für den Auflagebegünstigten ein gesicherter und frei verfügbarer Anspruch auf Vollzug der Auflage gegen den Erstbeschenkten vor, sieht der BFH als Zuwendungsgegenstand zwischen dem Schenker und dem Dritten die dem Dritten eingeräumte Forderung gegen den Erstbeschenkten an, für die die Steuerpflicht bereits zum Zeitpunkt der Ausführung der Erstschenkung entsteht.
Rz. 122
Gottschalk schlägt unter Bezugnahme auf den Willen der Parteien vor, zwischen Forderungen, die auf eine Geldleistung gerichtet sind, und Forderungen auf Sachleistungen zu unterscheiden. Es bleibt abzuwarten, ob die Rspr. dieser Differenzierung besondere Bedeutung beimessen wird.
Rz. 123
Die Schenkung unter Auflage ist abzugrenzen vom bedingten Erwerb. Hier entsteht die Auflage erst mit Eintritt der Bedingung, wobei ein vorzeitiger Auflagenvollzug vom BFH als Bedingungseintritt gewertet wird, obwohl eine vorzeitige Erfüllung zivilrechtlich unmöglich ist. Mit Eintritt der Bedingung entsteht auch die Schenkungsteuer.
3.3.3 Steuerentstehung in den Fällen des § 7 Abs. 1 Nrn. 3–10 ErbStG
Rz. 124
Für die Ergänzungs- bzw. Ersatztatbestände des § 7 Abs. 1 Nrn. 3–10 ErbStG fehlt es an mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a–j ErbStG vergleichbaren Sonderregelungen. Deswegen ist die Ausführung der Schenkung i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG unter Berücksichtigung der Textfassung der Ergänzungs- bzw. Ersatztatbestände durch Auslegung zu ermitteln.
Rz. 125
Soweit die Steuerbarkeit an vertragliche Vereinbarungen anknüpft, die anspruchs- bzw. rechtsbegründend sind, richtet...