Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer, Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
a) Konzept
Rz. 21
Beseitigung von Bedenken gegen die Vereinbarkeit der §§ 7–18 mit DBA. § 20 Abs. 1 Halbs. 1 besagt, dass die §§ 7–18 durch die DBA nicht berührt werden. Die Vorschrift ist überaus problematisch. Nach ihrem Wortlaut erstreckt sie sich auf die gesamten §§ 7–18. Nach seiner ursprünglichen Konzeption durch das StÄndG 1992 hatte § 20 Abs. 1 Halbs. 1 nur den Sinn, die ebenfalls durch das StÄndG 1992 neu aufgenommenen Regelungen in den §§ 7 Abs. 6, 10 Abs. 6 a.F. und 11 Abs. 4 a.F. entsprechend dem dt. Rechtsverständnis insoweit abzusichern, als die Anwendung der DBA auf das völkerrechtlich gebotene Maß zurückgenommen werden sollte. Ihrem Wortlaut nach geht die Vorschrift jedoch über das sehr viel engere Ziel deutlich hinaus. Es soll Bedenken entgegengewirkt werden, die gegenüber der Verträglichkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit den DBA bestehen. Dies erscheint zwar legitim, unterstreicht aber nur die Bedenken für die Zeit bis zum Inkrafttreten der Regelung. Spätestens mit dem Wegfall von §§ 10 Abs. 5–7 durch das StVergAbG und der fehlenden Aufhebung von § 20 Abs. 1 Halbs. 1 bringt der dt. Gesetzgeber unzweideutig zum Ausdruck, ein Bedürfnis an der Beseitigung von Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit den DBA zu haben. § 20 Abs. 1 Halbs. 1 stellt insoweit klar, in welchem Verhältnis die §§ 7–18 zu denjenigen DBA stehen, die Dtl. völkerrechtlich abgeschlossen und durch Zustimmungsgesetz in innerstaatliches Recht transformiert hat.
b) "Treaty Override"
Rz. 22
§ 20 Abs. 1 Halbs. 1 und Begriff des "Treaty Override". § 20 Abs. 1 Halbs. 1 i.V.m. §§ 7–14 bewirkt ein sog. "Treaty Overriding". Mit diesem aus dem angelsächsischen Raum stammenden Begriff wird die konfliktträchtige Situation beschrieben, in der sich eine im innerstaatlichen Recht geltende Norm eines DBA befindet, wenn eine von dieser Abkommensnorm gewährte begünstigende Rechtsfolge durch nachfolgende Akte des nationalen Steuergesetzgebers eingeschränkt oder beseitigt wird, kurzum späteres innerstaatliches Recht sich in Widerspruch zu einer DBA-Norm setzt. Ein solcher Konflikt ergibt sich vorliegend aus dem Umstand, dass § 20 Abs. 1 Halbs. 1 einen Vorrang der §§ 7–14 vor den dt. DBA mit der Folge statuiert, dass die abkommensrechtliche Zuteilung eines Besteuerungsrechtes zum Ansässigkeitsstaat der ausländischen Zwischengesellschaft unterlaufen wird. Bei der Beurteilung des "Treaty Overriding" ist zwischen einer möglichen Verletzung des Völkerrechts und der innerstaatlichen Rechtswirkung zu unterscheiden. Anders ausgedrückt besagt die Völkerrechtswidrigkeit des "Treaty Overriding" nichts über seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit.
Rz. 23
Bisherige Praxis. Bis zum Jahr 2012 vertraten der BFH und der überwiegende Teil des Schrifttums die Rechtsauffassung, dass das "Treaty Overriding" zwar rechtspolitisch unerfreulich, jedoch verfassungsrechtlich verbindlich sei. Gegen diese Auffassung sprach sich vor allem Vogel aus. Er hielt das "Treaty Overriding" für verfassungswidrig. Lehner rückte von dieser Auffassung etwas ab. Er bejahte die Verfassungsmäßigkeit, sah jedoch die im Grundsatz des "pacta sunt servanda" verankerte Pflicht als verletzt an, die Gültigkeitsbedingungen völkerrechtlicher Verträge zu wahren. Der Meinungsstreit löste im Schrifttum eine umfangreiche Diskussion aus. Der BFH schloss sich in seinem Beschluss v. 10.1.12 der Auffassung von Vogel an und legte dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vor, ob das in § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 angelegte "Treaty Overriding" verfassungswidrig sei. Durch BFH-Beschluss v. 10.6.2015 wurde die Vorlage noch einmal ergänzt. Der BFH erließ am 11.12.2013 und am 20.8.2014 weitere Vorlagebeschlüsse an das BVerfG zu § 50d Abs. 10 EStG 2002/2008 und zu § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 auf der Grundlage der gleichen Rechtsauffassung. Das BVerfG ist in seinem Beschluss v. 15.12.2015 der Auffassung des BFH nicht gefolgt. Es hat die Fragen erörtert, ob die Verfassungswidrigkeit aus einer Verletzung des ungeschriebenen Verfassungsgrundsatzes der Völkerrechtswidrigkeit oder aus einer Verletzung des Gleichheitsgebots i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet werden kann. Beide Fragen verneint das BVerfG. Nach seiner Rechtsauffassung ergibt sich aus dem GG keine verfassungsrechtliche Bindung an völkerrechtliche Verträge. In diesem Sinn ist ein völkerrechtlicher Vertragsbruch möglich und rechtswirksam. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, Gesetze zu erlassen, die im Widerspruch zum Völkerrecht stehen. Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG haben völkerrechtliche Verträge innerstaatlich betrachtet den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie können durch später erlassene Bundesgesetze außer Kraft gesetzt werden. Die Entscheidung ist zwar zu § 50d Abs. 8 EStG 2002 ergangen. Sie muss jedoch im Rahmen des § 20 Abs. 2 gleichermaßen gelten und beachtet werden. Auch wenn im Schrifttum nicht zuletzt mit Blic...