Rz. 1101

[Autor/Stand] Betriebswirtschaftliche und rechtliche Beweggründe für Funktionsverlagerungen ins Ausland. Die Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft haben dazu geführt, dass internationale Konzerne ihre organisatorischen Strukturen ständig überprüfen und an aktuelle Entwicklungen anpassen müssen. Die internationale Ausrichtung von Konzernen löst damit häufig organisatorische Umstrukturierungsprozesse aus, im Rahmen derer betriebliche Funktionen (zum Begriff Rz. 1128) vom Inland an andere (ggf. neue) Standorte im Ausland verlagert werden. Dies betrifft selbst solche Funktionen, die bislang als nicht standortelastisch angesehen wurden, z.B. die Produktions- sowie die Forschungs- und Entwicklungsfunktion.[2] Die im Rahmen solcher Funktionsverlagerungen verfolgten unternehmerischen Zielsetzungen sind insbesondere die folgenden:[3]

  • Vorteile durch größere Marktnähe: Eine größere Marktnähe kann sowohl in Bezug auf die Beschaffungs- und Produktionsfunktion als auch im Hinblick auf Vertriebsfunktionen mit betriebswirtschaftlichen Vorteilen verbunden sein. Im Beschaffungs- und Produktionsbereich betrifft dies vor allem die Reduktion von Kosten, z.B. durch die Wahl eines Standorts mit einem großen Angebot an Rohstoffen, Energieträgern oder Arbeitskräften. Im Bereich des Vertriebs werden Funktionsverlagerungen zur Erschließung neuer Absatzmärkte, Erzielung einer größeren Kundennähe, Erreichung eines höheren Bekanntheitsgrads bzw. eines positiven Images sowie zur (länder-)spezifischen Bearbeitung des Absatzmarkts (z.B. im Rahmen einer Produktdifferenzierung) genutzt.
  • Nutzung von standortbedingten Kostenvorteilen: Standortbezogene Kostenvorteile betreffen z.B. die Reduktion der Arbeitskosten durch Nutzung des internationalen Lohn- und Gehaltsgefälles, die Senkung der Logistikkosten durch die Verkürzung von Transportwegen, günstigere Energiekosten sowie die Verschlankung der Verwaltung und des Managements.
  • Nutzung von Skalen- und Synergieeffekten: Die Verlagerung betrieblicher Funktionen geht häufig – insbesondere im Anschluss an Unternehmensakquisitionen und Restrukturierungsprozesse in einem Konzern – mit einer Zentralisierung von Funktionen in einer ausländischen Konzerngesellschaft einher. Diese betrifft vor allem die Zentralisierung von Verwaltungsfunktionen (z.B. im Bereich des Rechnungswesens, des Einkaufs, der EDV, des Personalwesens) sowie die Bereiche der Forschung, der Entwicklung, der Logistik und der Produktion. Betriebswirtschaftlicher Hintergrund der Zentralisierung von Teilen der Wertschöpfungskette ist die Erzielung von Synergieeffekten[4] durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und somit die Steigerung der Produktivität und Effizienz. Außerdem können durch die Zentralisierung betrieblicher Funktionen im Ausland Skaleneffekte im Rahmen sog. "Economies of Scale" (z.B. Produktionssteigerungen durch zunehmende Lerneffekte und sinkende Rüstkosten) sowie sog. "Economies of Scope" (z.B. Produktivitätssteigerungen durch höhere Auslastungsgrade und geringere Leer- und Stillstandzeiten) realisiert werden.[5]
  • Minderung des unternehmerischen Risikos: Durch die Verteilung betrieblicher Funktionen auf mehrere Standorte kann das unternehmerische Gesamtrisiko gemindert werden.
  • Nutzung von Vorteilen des ausländischen Rechtssystems: Nach der Funktionsverlagerung unterliegt das ausländische verbundene Unternehmen dem dortigen Rechtssystem. Insoweit können Regelungen des Herkunftslands (z.B. Deutschland) umgangen und ggf. bestehende günstigere Regelungen des Ziellands genutzt werden.[6] Diese können z.B. das Wettbewerbsrecht (Preisgestaltung, Vertriebssysteme, Werbung), das Patent- und Markenrecht, das Arbeits-, Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsrecht, die Unternehmenspublizität bzw. die Rechnungslegungspflichten, Regelungen der Produkt- und Umwelthaftung, die Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbeziehungen (AGB), öffentlich-rechtliche Auflagen (z.B. Genehmigungsverfahren, Umwelt- und Sicherheitsvorschriften) sowie staatliche Fördermaßnahmen betreffen.

Umgekehrt ist auch eine Funktionsverlagerung (zurück) ins Inland denkbar, wenn die politischen oder sonstigen Rahmenbedingungen im Ausland unsicher sind oder sich verschlechtern und das Unternehmen unter stabileren Bedingungen in Deutschland agieren möchte (vgl. dazu Rz. 1125).[7]

 

Rz. 1102

[Autor/Stand] Steuerliche Beweggründe. Neben den vorstehend genannten betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Beweggründen spielen im Rahmen der Verlagerung von betrieblichen Funktionen ins Ausland häufig auch steuerliche Motive eine Rolle.[9] Die Unternehmen streben dabei diejenige Allokation betrieblicher Funktionen im In- und Ausland an, die zu einer Reduzierung der unternehmerischen Gesamtsteuerbelastung führt.[10] Steuerplanerisch werden insoweit solche Organisationsstrukturen bevorzugt, bei denen Funktionen mit hohem Gewinnpotential – i.d.R. erfolgsstrategische Funktionen – an steuerlich günstigen Standorten angesiedelt werden, während Funktionen mit ge...

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