Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1117
Stand der Rechtsprechung. Eine umfangreiche und gefestigte Rechtsprechung zum Thema der Funktionsverlagerung liegt bislang nicht vor. Gleichwohl sind zwischenzeitlich einzelne Entscheidungen ergangen.
Rz. 1118
FG Niedersachsen vom 16.3.2023, 10 K 310/19. Der Entscheidung des FG Niedersachsen vom 16.3.2023 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Auf Konzernebene wurde beschlossen, die Bohrmeißelproduktion bei der Konzerngesellschaft X am Standort A einzustellen und die Produktion künftig weitestgehend am Standort B durch die Konzerngesellschaft Y durchzuführen. Soweit die Produktionsanlagen in A keine andere Verwendung fanden, wurden sie an Schwestergesellschaften der X verkauft. Die angefallenen Schließungskosten wurden von der Y getragen. Darüber hinaus gehende Zahlungen erfolgten nicht. Die Finanzverwaltung sah in diesem Vorgang eine Funktionsverlagerung auf die Konzerngesellschaft Y und berechnete ein Transferpaket. Dagegen setzte sich der Steuerpflichtige zur Wehr. Das FG Niedersachsen lehnte eine Funktionsverlagerung mit folgenden Erwägungen ab (Revision eingelegt; Az. des BFH: I R 43/23):
- Das FG Niedersachsen führte zunächst aus, dass in dem Betriebsteil Bohrmeißelproduktion eine "Funktion" zu sehen sei, da es sich um einen eigenständigen Teilbereich des Gesamtorganismus des Unternehmens der X handele, dem Erträge und Aufwendungen sachgerecht zugeordnet werden können.
- Nach Auffassung des FG Niedersachsen wurde diese Funktion indessen nicht verlagert. Nach § 1 Abs. 2 FVerV 2008 sei es erforderlich, dass Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken übertragen werden, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann. Da vorliegend indessen weder Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie Geschäftschancen von der X auf die Y übertragen wurden noch eine kausale Verknüpfung zwischen der Übertragung von Vorteilen im weitesten Sinne und der Befähigung, eine Funktion auszuüben, besteht, seien die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 FVerlV 2008 nicht erfüllt. So seien die Produktionsanlagen im Rahmen fremdüblicher Geschäfte an andere Konzerngesellschaften bzw. an Dritte veräußert worden. Auch eine Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter sei nicht erfolgt. Denn wie sich aus dem Cost Sharing Agreement ergibt, standen die technischen Entwicklungen vor der Produktionsschließung sowohl der X als auch der Y zu, sodass die Y auch ohne X auf die Patente und das technische Wissen zugreifen und selbstständig derartige Produkte fertigen konnte. Ferner sei kein Kundenstamm übertragen worden, da die Y eigenen Zugriff auf dieselben Kundenbeziehungen zu ihren Töchtern hatte. Die Y allein war aufgrund ihrer Stellung im Konzern in der Lage, die Kundenbeziehungen zu beherrschen. Außerdem seien keine sonstigen Vorteile übergegangen, da die X mit der Produktion keine wirtschaftlich selbständige Position innehatte, die sie in die Lage versetzt hätte, etwas zu übertragen. Ein wirtschaftlicher Vorteil, der lediglich insoweit vorlag, als eine Belieferung an fremde Dritte erfolgte, wurde nach den Feststellungen des Gerichts nicht übertragen, sondern ging mit Einstellung der Produktion unter. Schließlich stellte das FG Niedersachsen fest, dass die Y für andere Teile des Gesamtmarkts bereits vor der Aufgabe des Standorts selbst entsprechende Produkte gefertigt und vertrieben hat. Insofern erfolgte die Übertragung nicht, "damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann", sodass es insoweit an der kausalen Verknüpfung zwischen der Überlassung von Wirtschaftsgütern mit der Möglichkeit der Funktionsausübung fehlt.
Rz. 1119
FG München v. 26.11.2019, 6 K 1918/16. Der Entscheidung des FG München vom 26.11.2019 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist eine GmbH, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter Herr X ist. Geschäftsgegenstand der GmbH die Entwicklung, Produktion und der Vertrieb auf dem Gebiet der Trenn- und Zerspantechnik sowie die Erbringung von Beratungsleistungen auf dem Gebiet der Unternehmensberatung. Der überwiegende Teil der Verkaufsartikel der Klägerin unterliegt einer mehrstufigen Fertigung mit zum Teil arbeitsintensiven Fertigungsverfahren. In 2007 gründete X in Bosnien-Herzegowina die Firma CB. Die Schwesterfirma der Klägerin (CB) ist ausschließlich auf dem Gebiet der Trenn-, Schleif- und Zerspantechnik tätig und fertigt auch Fertig- und Halbfertigprodukte. Die Aufnahme der Produktion erfolgte in 2008. Die Klägerin entsandte zwei Mitarbeiter, die das Personal der CB in Bosnien schulte. Ursache für die Gründung der CB war die wirtschaftliche Situation der Automobilzulieferer in 2006 am Standort Deutschland. Insbesondere bei den arbeitszeitintensiven Fertigungsverfahren war die Klägerin aufgrund des hohen Lohnniveaus am Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig. Gute Deckungsbeiträge aus den High-Tech-Verfahren mussten zunehmend die Verluste der lohnintensiven Verfahren subve...