Rz. 40
Maßstab der Dienstleistungs- sowie Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art. 56, 49 AEUV. Die Regelung des § 4j EStG stellt einen Verstoß gegen Europäisches Primärrecht in Form der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) sowie der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) dar.
Rz. 41
Versteckte (mittelbare) Diskriminierung. Zwar begrenzt der Gesetzeswortlaut die Anwendung des § 4j EStG nicht auf grenzüberschreitende Lizenzzahlungen, sondern knüpft lediglich an die Niedrigbesteuerung der Einnahmen des (Lizenz-)Gläubigers aufgrund eines Präferenzregimes an. Eine offene Diskriminierung scheidet daher aus. Allerdings werden von § 4j EStG de facto ausschließlich grenzüberschreitende Lizenzzahlungen aus Deutschland in das Ausland besteuert. Denn das deutsche Steuerrecht kennt gegenwärtig kein Präferenzregime i.S.d. § 4j EStG, weshalb inländische (Lizenz-)Gläubiger vom Anwendungsbereich der Norm ausgeschlossen sind. Die so durch § 4j EStG begründete versteckte (mittelbare) Diskriminierung wird ebenso von der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) sowie der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) geschützt.
Rz. 42
Rechtfertigungsgründe. Rechtfertigungsgründe für ebendiese Diskriminierung sind jedoch nicht ersichtlich. Neben den geschriebenen Rechtfertigungsgründen, namentlich den Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit i.S.d. Art. 52 Abs. 1 AEUV (i.V.m. Art. 62 AEUV), die vorliegend offensichtlich nicht zum Tragen kommen, ist diesbezüglich die Gruppe der ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe zu prüfen. Hiernach kommen als Rechtfertigungsgrund für den durch § 4j EStG begründeten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit sowie die Niederlassungsfreiheit zwingende Gründe des Gemeinwohls in Betracht. Mithin die Bekämpfung von steuerlichem Missbrauch, Steuerumgehungen und Steuerhinterziehung, die Kohärenz des Steuersystems oder die Aufteilung von Besteuerungsrechten:
Rz. 43
Bekämpfung von steuerlichem Missbrauch. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist mit Blick auf die Bekämpfung von steuerlichem Missbrauch festzuhalten, dass der Versuch einer Umgehung der Anwendung des nationalen Rechts unter Missbrauch der durch den AEUV geschaffenen Erleichterungen durch Angehörige eines Mitgliedstaats keinen unionsrechtlichen Schutz erfährt. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass Gemeinschaftsangehörigen das Recht, sich auf die europäischen Grundfreiheiten zu berufen, verwehrt bleibt, sofern lediglich die Absicht besteht, die in einem anderen Mitgliedstaat günstigere Steuerrechtslage in Anspruch zu nehmen. Insbesondere wurde diesbezüglich angemerkt, dass die Gründung einer Gesellschaft in einem Staat zum Zwecke der Nutzung der dort vorherrschenden günstigen steuerlichen Gegebenheiten für sich genommen nicht genügt, um von einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Grundfreiheiten auszugehen. Folglich kann die durch § 4j EStG begründete Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit sowie der Niederlassungsfreiheit nicht bereits mit der Annahme begründet werden, dass die Nutzung einer günstigeren Steuerlage eines anderen Mitgliedstaats als Missbrauch der entsprechenden Grundfreiheiten zu qualifizieren ist. Um eine dahingehende Rechtfertigung für den Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten zu bewirken, müsste § 4j EStG vielmehr eine zielgerichtete Gegenmaßnahme zur Verhinderung missbräuchlich gegründeter, substanzloser Gesellschaften sein, welche allein auf eine künstliche Gewinnverlagerung und die damit einhergehende günstigere Besteuerung abzielen. Dem wird § 4j EStG jedoch nicht gerecht, da das (Teil-)Abzugsverbot der (Lizenz-)Aufwendungen auf Ebene des inländischen Lizenznehmers bei Vorliegen eines nicht nexus-konformen Präferenzregimes auch bei substanzieller Tätigkeit des (Lizenz-)Gläubigers bezüglich einer eigenständigen Entwicklung von Rechten zur Anwendung kommt (vgl. hierzu Rz. 149). Somit erfasst § 4j EStG auch Fallgestaltungen, die bei konkreter Betrachtung keinen Missbrauchscharakter im Sinne des Aktionspunktes 5 des BEPS-Projekts aufweisen.
Rz. 44
Problematik der Niedrigsteuergrenze von 25 % bzw. Kohärenzgedanken. Der Rechtfertigungsgrund der Bekämpfung von steuerlichem Missbrauch wird darüber hinaus durch die in § 4j Abs. 2 Satz 1 EStG normierte Niedrigbesteuerungsgrenze von 25 % konterkariert. Aufgrund der Tatsache, dass auch im Inland ansässige Kapitalgesellschaften in Abhängigkeit von dem jeweiligen Gewerbesteuerhebesatz der Gemeinde mit einer Ertragsteuerquote von unter 25 % belastet werden können, ist eine Rechtfertigung des § 4j EStG als zielgerichtete Maßnahme zur Bekämpfung von steuerlichem Missbrauch nicht begründbar. Hinzu kommt, dass in Konstellationen, in denen eine in einer solchen "Gewerbesteueroase" ansässige Kapitalgesellschaft einem verbundenen Unternehmen entgeltlich Rechte überlässt, die Anwendung des § 4j EStG angesichts der zwischen zwei inländischen Unternehmen bestehenden Gesc...