Prof. Dr. Vassil Tcherveniachki
"Eine strukturierte Gestaltung im Sinne des Satzes 1 ist anzunehmen, wenn der steuerliche Vorteil, der sich ohne die Anwendung der vorstehenden Absätze ergeben würde, ganz oder zum Teil in die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen eingerechnet wurde oder die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen oder die den vertraglichen Vereinbarungen zugrunde liegenden Umstände darauf schließen lassen, dass die an der Gestaltung Beteiligten den steuerlichen Vorteil erwarten konnten."
Rz. 32
Definition. § 4k Abs. 6 Satz 3 EStG setzt Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c i.V.m. Art. 2 Abs. 11 Halbs. 1 ATAD um und definiert den Begriff der "strukturierten Gestaltung", wobei zwei Alternativen zu unterscheiden sind. In der ersten Alternative liegt eine "strukturierte Gestaltung" vor, wenn der steuerliche Vorteil aus der Besteuerungsinkongruenz vollständig oder teilweise in die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen eingerechnet wurde. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist dies insbesondere dann anzunehmen, wenn der Preis der Vereinbarung sich von dem Preis unterscheidet, der ohne eine Besteuerungsinkongruenz vereinbart worden wäre. Dies wäre insbesondere im Fall von Kaufpreis- oder sonstigen Entgeltanpassungsklauseln anzunehmen, die eine nachträgliche Erhöhung von der Realisierung des relevanten Steuervorteils abhängig machen. In der zweiten Alternative ist von einer "strukturierten Gestaltung" auszugehen, wenn die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen oder die den vertraglichen Vereinbarungen zugrunde liegenden Umstände darauf schließen lassen, dass die an der Gestaltung Beteiligten (auch fremde Dritte, nicht nur nahestehende Personen) einen steuerlichen Vorteil erwarten konnten. Nach Maßgabe der Gesetzesbegründung ist es für die Anwendung des § 4k Abs. 6 Satz 3 EStG nicht maßgeblich, ob dem Steuerpflichtigen die Beteiligung an einer "strukturierten Gestaltung" bekannt war oder dieser Kenntnis über das Auftreten einer Besteuerungsinkongruenz und des daraus entstehenden steuerlichen Vorteils hatte.
Rz. 33
Kritik. Die Definition der "strukturierten Gestaltung" ist nicht hinreichend bestimmt und sehr weit gefasst. Insbesondere geht der Anwendungsbereich über die von der Rechtsprechung bereits herausgearbeiteten Grundsätze zu einem aufgelegten Gestaltungskonzept zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei sog. cum/ex-Geschäften mit Aktien, das auf einer einheitlichen Planung der Beteiligten beruht und auf die Erzielung von einem steuerlichen Vorteil abzielt, hinaus. In diesem Urteilsfall wurde für die Annahme einer (schädlichen) strukturierten Gestaltung zurecht auf das Vorliegen eines "Rundumsorglospakets" abgestellt, im Rahmen dessen eine Erstattung von Kapitalertragsteuer bewirkt wird, die im Vorfeld gar nicht abgeführt wurde. Hingegen kann § 4k Abs. 6 Satz 3 EStG auch übliche Kapitalbeschaffungsmaßnahmen erfassen, bei denen für den Beteiligten überhaupt nicht erkennbar ist, ob eine "strukturierte Gestaltung" vorliegt. So ist es dem Emittenten bei Kapitalbeschaffungsmaßnahmen regelmäßig nicht bekannt, ob und ggf. inwiefern der Anleihegläubiger die Erträge der Besteuerung unterwirft. Mangels bewusster Berücksichtigung eines für Zwecke des § 4k EStG "schädlichen" steuerlichen Vorteils in den vertraglichen Vereinbarungen ist es nicht sachgerecht, eine strukturierte Gestaltung anzunehmen. Schließlich geht die Einbeziehung von üblichen Kapitalbeschaffungsmaßnahmen über den Regelungszweck der ATAD II hinaus, wonach lediglich Besteuerungsinkongruenzen aufgrund des Einsatzes von konzerninternen hybriden Finanzinstrumenten oder hybriden Strukturen verhindert werden sollen.