Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
Rz. 78
Verstoß gegen Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Im Schrifttum wird zunehmend geltend gemacht, dass die Zurechnung nach § 5 zB unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Begründet wird dies damit, dass der Person i.S. des § 2 ggf. Einkünfte oder Vermögenswerte für steuerliche Zwecke zugerechnet werden, obwohl sie (zB aufgrund mangelnder Alleinbeherrschung) keinen tatsächlichen Zugriff auf die Einkünfte oder Vermögenswerte hat. Ggf. ist es ihr nichteinmal möglich, auf die Einkünfteerzielung der ausländischen Gesellschaft entsprechenden Einfluss zu nehmen. Es spricht einiges für die vorstehende These. Hinzu kommt, dass § 5 nur gegenüber deutschen Staatsangehörigen zur Anwendung kommt. Im Übrigen unterliegt es jedenfalls dann verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn es im konkreten Fall aus der Anwendung des § 5 zu einer Überbesteuerung kommt.
Rz. 79
Strukturelles Vollzugsdefizit. Die praktische Erfahrung im Umgang mit § 5 deutet sogar eher darauf hin, dass hier ein den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verletzendes strukturelles Vollzugsdefizit vorliegt. Nach der Rspr. des BVerfG können strukturell gegenläufige Erhebungsregeln im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden Steuernorm eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG begründen. Zwar führen bloße Vollzugsmängel noch nicht zur Verfassungswidrigkeit. Erforderlich ist vielmehr ein normatives Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts. Daraus folgt, dass nur solche Defizite ein strukturelles Erhebungsdefizit begründen können, die in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallen. Genau dies ist aber vorliegend der Fall: Mit § 5 hat der Gesetzgeber eine Norm geschaffen, die derart komplexe Wechselwirkungen zwischen den §§ 2 und 4 einerseits und den §§ 7–14 andererseits hat, dass es der Finanzverwaltung praktisch unmöglich ist, die gleichmäßige Anwendung von § 5 sicherzustellen. Dies ist auch deshalb so, weil die §§ 2 und 4 sowie die §§ 7–14 für sich genommen schon so komplex und schwer verständlich sind, dass deren richtige Anwendung innerhalb des § 5 über zT mehrfache Fiktionen zusätzlich erschwert wird. Im Grunde ist es reiner Zufall, dass die Finanzverwaltung einmal einen Fall aufgreift. Es ist auch nicht eine einzige gerichtliche Entscheidung überliefert, die sich mit § 5 befasst hat. Insoweit verhält es sich mit § 5 wie mit der Wehrgerechtigkeit vor der Aufgabe der Wehrpflicht. Auch diese hat im Übrigen ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 3 GG.
Rz. 80
Verfassungsrechtlich gebotener Gegenbeweis bei typisierenden Missbrauchsbekämpfungsvorschriften. Eine weitere Überlegung könnte dahin gehen, aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Gebot der Verhältnismäßigkeit den allgemeinen Rechtsgrundsatz abzuleiten, dass für typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften dem Stpfl. die Möglichkeit eröffnet werden muss, genau diesen typisierten Missbrauchsvorwurf im konkreten Fall durch Führung eines entsprechenden Nachweises zu entkräften. Für den EuGH ist es jedenfalls eine Selbstverständlichkeit, dass eine typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschrift nicht über das hinausgehen darf, was zum Schutze der Grundfreiheiten des AEUV erforderlich ist. Warum das anders sein soll, wenn es um den Schutz der Grundrechte des GG geht, erschließt sich jedenfalls nicht unmittelbar. Immerhin verbürgt Art. 2 Abs. 1 GG als Ausfluss einer freiheitlich organisierten Rechtsordnung, dass die persönliche Freiheit des Einzelnen "als angeborene, naturgegebene, ewige, göttliche, vorstaatliche, schon den Verfassungsgeber bindende, daher unbedingt unabänderliche, unaufhebbare, unveräußerliche, unverjährbare und unantastbare Rechte gedacht" ist. Entsprechend hieß es in den ersten Entwürfen zu Art. 2 GG: "Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt". Darin kommt der heute noch geltende (allerdings vielfach in Vergessenheit geratene) Grundsatz zum Ausdruck, dass jede Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Menschen nicht nur eines demokratisch legitimierten Gesetzes, sondern eines besonderen Rechtfertigungsgrundes bedarf. Ein derart besonderer Rechtfertigungsgrund ist selbstverständlich dann gegeben, wenn der Stpfl. die durch Art. 2 GG verbürgte Freiheit dazu missbraucht, um sich der für alle Mitglieder der Rechtsordnung geltenden Besteuerung zu entziehen. Daher ist es dem Gesetzgeber auch unbenommen, einen solchen Missbrauch durch typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften zu verhindern. Gelingt es aber dem Stpfl. im konkreten Fall nachzuweisen, dass ihn der mit der typisierten Missbrauchsbekämpfungsvorschrift intendierte Vorwurf überhaupt nicht trifft, dann muss die Anwendung dieser Vorschrift von Verfassungs wegen zurückstehen. Im Rahmen von § 5 ist das zB denkbar, wenn der Stpfl. nachweisen kann, dass er schon über längere Zeit über die Beteiligung an...