aa) Allgemeines
Rz. 296
Regelungsinhalt. Die Geltungsdauer der Freistellungsbescheinigung beginnt frühestens an dem Tag, an dem der Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern eingeht (Satz 4 Halbs. 1). Sie beträgt mindestens ein Jahr und darf drei Jahre nicht überschreiten (Satz 4 Halbs. 2). Der Gläubiger der Kapitalerträge oder der Vergütungen ist verpflichtet, den Wegfall der Voraussetzungen für die Freistellung unverzüglich dem Bundeszentralamt für Steuern mitzuteilen (Satz 4 Halbs. 3).
Rz. 297
Grund für die Regelung. Die Regelung des Satzes 4 Halbs. 1 war vom Gesetzgeber als Reaktion auf das BFH-Urteil vom 11.10.2000 eingeführt worden (s. hierzu Anm. 27 ff., 31 ff.).
bb) Nachträgliche Erteilung
Rz. 298
Nachträgliche Erteilung der Freistellungsbescheinigung und frühestmögliche Geltungsdauer. Die Freistellungsbescheinigung kann zwar nachträglich, also nach Zufluss der Kapitalerträge, erteilt werden. Ihre Geltungsdauer beginnt allerdings frühestens an dem Tag, an dem der Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern eingeht.
(1) Überblick: Möglichkeit einer Erstattung
Rz. 299
Etwaige Vorteile einer nach erfolgtem Steuerabzug erteilten Freistellungsbescheinigung. In dem Falle einer nachträglichen Erteilung hat sich in der Regel die "Freistellung" der Vergütung erledigt, da die Kapitalertragsteuer oder Abzugsteuer mangels Freistellungsbescheinigung im Zeitpunkt der Entrichtung der Vergütung einzubehalten und abzuführen war. Gleichwohl muss die nachträglich erteilte Freistellungsbescheinigung für den Vergütungsgläubiger nicht "wertlos" sein. Sie kann ihm durchaus noch von Vorteil sein, so dass er auch weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Rechtsbehelf hätte (vgl. zum Problem des Rechtsschutzbedürfnisses Anm. 273 ff., insbes. 276 ff.).
Rz. 300
Möglichkeit einer Erstattung. Unter bestimmten Voraussetzungen kann nämlich auch auf der Grundlage einer "nachträglich" erteilten Freistellungsbescheinigung – wie im Fall eines Freistellungsbescheids – eine Erstattung erlangt werden. Allerdings setzt dies – im Gegensatz zur Erstattung auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids – vorbehaltlich der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die Erwirkung der Änderung der Steueranmeldung voraus.
Rz. 301
Voraussetzungen einer Erstattung. In der Konstellation, dass der Vergütungsgläubiger einen Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gestellt hat, der Vergütungsschuldner aber vor deren Erteilung die Steuer einbehalten und abgeführt hat, hängt die Erstattung davon ab, ob eine Rechtsgrundlage für die Änderung der Steueranmeldung durch den Vergütungsschuldner besteht. Dies ist ganz entscheidend davon abhängig, dass noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Denn in der Praxis dürften als Rechtsgrundlage einer entsprechenden Änderung insbesondere die §§ 172 ff. AO in Betracht kommen.
(2) Änderung der Steueranmeldung gemäß § 164 Abs. 2 AO oder § 173 AO
Rz. 302
Änderung der Festsetzung des Steuerabzugbetrags vor Eintritt der Festsetzungsverjährung. Vor Eintritt der Festsetzungsverjährung kommt eine Änderung der Festsetzung des Steuerabzugbetrags nach § 50a EStG oder der Kapitalertragsteuer aufgrund der dann vorgelegten Freistellungsbescheinigung gem. § 164 Abs. 2 AO oder § 173 AO in Betracht. Ist bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, scheidet eine solche Änderungsmöglichkeit gem. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO aus.
(3) Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis)?
Rz. 303
Frage der Qualifizierung der nachträglichen Erteilung einer Freistellungsbescheinigung als rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Es erscheint fraglich, ob eine nachträglich erteilte Bescheinigung ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO im Hinblick auf eine vorangegangene Steueranmeldung oder (Entrichtungs-)Steuerfestsetzung darstellt. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Rz. 304
Meinungsstand im Schrifttum. Im Schrifttum ist umstritten, ob der Freistellungsbescheinigung i.S.d. § 50d Abs. 2 Satz 1 eine solche Wirkung zukommt. Nach der einen Auffassung ist eine solche Rückwirkung abzulehnen. Zur Begründung wird angeführt, dass der Wortlaut des Gesetzes hierfür keine Anhaltspunkte biete. Deshalb trete die Befreiung des Vergütungsschuldners von der Einbehaltungs- und Abführungspflicht erst für die Zeit von der Bescheinigung an (ex nunc) ein. Bei Endgültigkeit und Bestandskraft des der Abführung zugrunde liegenden Besche...