1. Grundsatz: Keine Verzinsung des Anspruchs auf Erstattung von Abzugsteuern
Rz. 215
Unverzinslichkeit des Erstattungsanspruchs. Grundsätzlich ist der Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuern unverzinslich (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO).
a) Allgemeines
Rz. 216
Grund für das Prinzip mangelnder Verzinsung. Der Gesetzgeber hat Steuerabzugsbeträge aus dem sachlichen Anwendungsbereich des § 233a AO ausgenommen, weil eine Verzinsung dort in aller Regel ins Leere gehen würde, da die Steuerfestsetzungen bzw. Steueranmeldungen insoweit zeitnah, d.h. innerhalb der vorgesehenen Karenzzeit von 15 Monaten, erfolgen und nach der Steuerfestsetzung oder Steueranmeldung das geltende Zins- und Säumnisrecht eingreift. Auch wenn insoweit wohl eher die Situation beschrieben ist, in der sich an die Erhebung eines Steuerabzugs eine Steuerveranlagung anschließt, bleibt die Überlegung, dass ein Bedürfnis für eine Verzinsung erstatteter Abzugsteuern nicht besteht, da eine solche Erstattung (z.B. nach Maßgabe der §§ 44b, 44c, 50d EStG) "ohnehin regelmäßig zeitnah ..." erfolgen würde. Der Ausschluss der Verzinsung bezieht sich dabei generell auf Steuerabzugsbeträge und betrifft (im Bereich der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer) auch Steuerinländer. Im Übrigen bleiben – umgekehrt – auch Nachforderungen von Abzugsteuern unverzinst.
Rz. 217
Sachlicher Grund für Beschränkung der Zinsen gemäß § 233a AO auf Veranlagungssteuern. § 233a AO will einen Ausgleich für Liquiditätsvorteile herstellen, die dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen; dies rechtfertigt es, den sachlichen Anwendungsbereich des § 233a Abs. 1 Satz 1 AO auf "Veranlagungssteuern" zu beschränken. Soweit sich dabei Verzinsungslücken ergeben, ist dies hinzunehmen, da der Gesetzgeber nicht zu einer lückenlosen Verzinsung jeglicher Erstattungsansprüche verpflichtet ist.
Rz. 218
Grund für die Einführung des beschränkten Verzinsungstatbestandes gemäß § 50d Abs. 1a. Hieran hat sich grundsätzlich (und vorbehaltlich etwaiger unionsrechtlicher Zweifel, s. Anm. 200 ff.) auch nichts dadurch geändert, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 1a i.d.F. des EG-Amtshilfe-Anpassungsgesetzes vom 2.12.2004 die Verzinsung eines nach § 50d Abs. 1 i.V.m. § 50g EStG zu erstattenden Abzugsbetrags (anzuwenden auf Zahlungen ab 2004) eingeführt hat. Eine solche Verzinsung war ausdrücklich in Art. 1 Abs. 16 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (EU-Zins- und Lizenzrichtlinie) vorgesehen. Der Gesetzgeber ist von dem ursprünglichen Vorhaben, alle nach § 50d Abs. 1 zu erstattenden Beträge zu verzinsen, abgerückt und erfasst nur die Fälle des § 50g EStG.
b) Keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes
Rz. 219
Gleichheitsgrundsatz. Die fehlende Verzinsung verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Denn für die gleichheitsrechtliche Abwägung fällt insbesondere auch ins Gewicht, ob dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet ist, die "Ungleichheit" durch alternative Sachverhaltsgestaltung zu vermeiden. Diese Möglichkeit besteht im Erstattungsverfahren gem. § 50d Abs. 1 Satz 2. Die Notwendigkeit eines Erstattungsverfahrens entfällt nämlich, wenn der Steuerpflichtige rechtzeitig beim Bundeszentralamt für Steuern die Freistellung vom Steuerabzug (Freistellungsbescheinigung gem. § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG) beantragt oder aber den ihm entstandenen Erwerbsaufwand dem abzugsverpflichteten Vergütungsschuldner beizeiten mitteilt.
c) Vereinbarkeit mit Unionsrecht
Rz. 220
Frage der Vereinbarkeit mit Unionsrecht. Es erscheint nicht unproblematisch, ob der grundsätzliche Ausschluss der Verzinsung von Erstattungsansprüchen mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Rz. 221
Auffassung im Schrifttum. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass der grundsätzliche Ausschluss der Verzinsung von Erstattungsansprüchen mit Blick auf die allgemeine Geltung von § 233a Abs. 1 Satz 2 AO nicht gegen Unionsrecht verstößt, da insbesondere dem unionsrechtlichen Erfordernis des Äquivalenzprinzips entsprochen werde. Gegen eine Verletzung von Art. 56 und Art. 57 AEUV (ex-Art. 49 und 50 EGV) kann angeführt werden, dass der Verzinsungsausschluss im Steuerabzugsverfahren jedenfalls im Ausgangspunkt unabhängig vom Entstehungsgrund des Erstattungsanspruchs Gebietsansässige und Gebietsfremde in gleicher Weise trifft.
Rz. 222
Grundsätzlich kein Bedürfnis auf Verzinsung. Ungeachtet dessen ist zu beachten, dass das nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtskonform ausgestaltete und insoweit normerhaltend aufrechtzuerhaltende Steuerabzugsverfahren gem. § 50a Abs. 1 Nr. 1 EStG erfordert, dass Betriebsausgaben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Dienstleistung angefallen und dem Vergütungsschuldner mitgeteilt worden sind, schon bei der Einbehaltung der Abzugsteuer zu berücksichtigen sind...