Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
„(6) [1] Bei der Anwendung der §§ 2 bis 6 für die Zeit nach dem 31. Dezember 1990 steht der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes der Deutschen Demokratischen Republik in der Fassung vom 18. September 1970 (Sonderdruck Nr. 670 des Gesetzesblattes) gleich. [2] Die Anwendung der §§ 2 bis 5 wird nicht dadurch berührt, daß die unbeschränkte Steuerpflicht der natürlichen Personen bereits vor dem 1. Januar 1991 geendet hat.”
Rz. 26
Satz 1. §§ 2–5 begründet erweitert beschränkte Steuerpflichten sog. Wegzügler für die Dauer von 10 Jahren. Bezogen auf den 1.1.2008 muss sich der Wegzug aus Deutschland nach dem 31.12.1997 vollzogen haben, um die erweitert beschränkten Steuerpflichten überhaupt noch greifen zu lassen. Tatbestandsmäßig setzen die erweitert beschränkten Steuerpflichten wie auch § 6 AStG voraus, dass die Person, die weggezogen ist, in den letzten 10 Jahren vor dem Wegzug mindestens 5 Jahren lang Deutscher und unbeschränkt steuerpflichtig war. Bei einem Wegzug am 1.1.1998 sind das die Jahre 1988–1997. Bei einem Wegzug am 1.1.2008 betrifft das die Jahre 1998–2007. Die Beispiele mögen zeigen, dass § 21 Abs. 6 nur noch sehr geringe praktische Bedeutung zukommt. Die Vorschrift geht auf die Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschnitt II Nr. 23 des 38 Einigungsvertrages v. 31.8.1990 in der Form des Art. 1 des Gesetzes v. 23.9.1990 zurück. § 21 Abs. 6 stellt mittelbar klar, dass die §§ 2–6 in der Zeit vor dem 1.1.1991 auf Personen nicht anzuwenden sind, die einer fünf- bzw. zehnjährigen unbeschränkten Steuerpflicht nur im Bereich der ehemaligen DDR unterworfen waren. Dagegen sind die §§ 2–6 dann anzuwenden, wenn ein Steuerpflichtiger zunächst die Voraussetzungen der §§ 2–6 in der Bundesrepublik erfüllt hatte, dann in das Gebiet der ehemaligen DDR übersiedelte, um von dort in das niedrig besteuernde Ausland auszuwandern. § 3 Nr. 63 EStG kommt in einem solchen Falle nicht zur Anwendung, weil die Vorschrift nur auf im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Personen anzuwenden ist. Bezogen auf die Zeit vor dem 1.1.1991 finden deshalb die §§ 2–6 nur auf solche Personen keine Anwendung, die die "persönlichen Tatbestandsmerkmale" der jeweils einschlägigen Vorschriften in der Zeit vor dem 1.1.1991 noch nicht in der Bundesrepublik erfüllt hatten.
Rz. 27
Deutsche Staatsangehörigkeit. § 2 setzt voraus, dass die auswandernde natürliche Person in den 10 Jahren vor dem Wegzug mindestens 5 Jahre lang "Deutscher" war (s. § 2 Rz. 51). Aus der Tatsache, dass in § 21 Abs. 6 jeder Hinweis auf eine "DDR-Staatsbürgerschaft" fehlt, wird man im Umkehrschluss folgern müssen, dass der Gesetzgeber die Bürger der DDR regelmäßig als Deutsche i.S. des § 2 ansieht.
Rz. 28
Wesentliche wirtschaftliche Interessen in der DDR. Für eine Person, die die persönlichen Anwendungsvoraussetzungen der §§ 2–5 in der Bundesrepublik erfüllt, kann sich die Frage stellen, ob das Halten wesentlicher wirtschaftlicher Interessen im Bereich der DDR die Rechtsfolge der §§ 2–5 auslöst. Dies ist für die Zeit vor dem 1.1.1991 zu verneinen, weil das Gebiet der DDR nicht zum Geltungsbereich des AStG gehörte. Ab dem 1.1.1991 ist die Frage allerdings zu bejahen.
Rz. 29
Satz 2. § 21 Abs. 6 Satz 2 knüpft an den Rechtsgedanken des § 21 Abs. 2 an. Die Vorschrift bezieht sich auf das Ende der unbeschränkten Steuerpflicht i.S. des § 1 Abs. 1 EStG-DDR. Das Ende der Steuerpflicht muss durch Aufgabe des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes im Gebiet der ehemaligen DDR eingetreten sein. Die Übersiedlung aus dem Gebiet der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik vor dem 1.1.1991 löst die Anwendung der §§ 2–5 nicht aus, weil keine beschränkte Steuerpflicht i.S. der Vorschriften entsteht. Im Übrigen berücksichtigen die Beispiele in Rz. 41 bereits die Regelung des § 21 Abs. 6 Satz 2, weshalb sie geeignet sind, den Hintergrund der Regelung auszuleuchten.