Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 19
§ 1 als zentrale Korrekturnorm. § 1 bildet den ersten Teil des AStG. Die Vorschrift steht selbständig neben dem zweiten bis siebten Teil des AStG. Sie hat zu diesen Teilen keinen unmittelbaren Bezug, wenn man davon absieht, dass sich die Frage nach ihrer Anwendung auch innerhalb der erweiterten beschränkten Steuerpflicht und innerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung stellen kann. Noch 2003 wurde festgestellt, dass etwa 95 % der Einkünftekorrekturen auf Basis einer vGA, verdeckten Einlage oder Entnahme vorgenommen wurden und "überflüssigerweise" § 1 AStG zu einer eigenständigen Korrekturvorschrift ausgestaltet worden sei. Spätestens seit der Reform des § 1 AStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hat sich dieses Bild geändert; § 1 AStG hat sich mittlerweile – auch in Bezug auf die internationale Betriebsstättengewinnermittlung – zu "der"grundlegenden Einkünftekorrekturvorschrift im internationalen Steuerrecht entwickelt. Nachdem im Jahr 2008 in § 1 Abs. 3 AStG die Verrechnungspreismethoden definiert, die Funktionsverlagerungsbesteuerung eingeführt und um eine Preisanpassungsklausel ergänzt wurden, wurde die Vorschrift – nach weiteren Ergänzungen der Vorschrift durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 und das Zollkodex-Anpassungsgesetz v. 22.12.2014 – mit dem AbzStEntModG v. 2.6.2021 und dem ATADUmsG v. 25.6.2021 grundlegend reformiert. In seiner aktuellen Fassung ist § 1 wie folgt aufgebaut:
Rz. 19.1
Absatz 1 (Tatbestand und Rechtsfolge). § 1 Abs. 1 Satz 1 enthält den Tatbestand und die Rechtsfolgen der Vorschrift. Mit Blick auf den Tatbestand wird dabei vorausgesetzt, dass der Steuerpflichtige eine Geschäftsbeziehung zu einer nahestehendenden Person im Ausland unterhält und dass im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung nicht fremdübliche Bedingungen vereinbart werden, wodurch die Einkünfte des Steuerpflichtigen gemindert werden. Ist der Tatbestand erfüllt, ist rechtsfolgenseitig vorgesehen, dass die Einkünfte des Steuerpflichtigen so anzusetzen sind, wie sie unter zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären, mithin erfolgt eine Korrektur des aus der einzelnen Geschäftsbeziehung zum Ausland erzielten Entgelts oder der damit verbundenen Ausgaben und somit eine Einkünfteerhöhung. § 1 Abs. 1 Satz 2 sieht vor, dass Personengesellschaften im Rahmen des § 1 sowohl "Steuerpflichtiger" als auch "nahestehende Person" sein können. § 1 Abs. 1 Satz 3 enthält bestimmte Vorgaben für die Anwendung des Fremdvergleichs. Konkret ist vorgesehen, dass bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes davon auszugehen ist, dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen und nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln (sog. Hellseherklausel). § 1 Abs. 1 Satz 4 enthält schließlich eine Regelung, die das Verhältnis des § 1 zu anderen Korrekturregelungen (z.B. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) betrifft.
Rz. 19.2
Absatz 2 (nahestehende Person). In § 1 Abs. 2 Satz 1 wird in insgesamt vier Fallgruppen abschließend definiert, was unter einer nahestehenden Person i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 zu verstehen ist. Der praktisch bedeutsamste Fall sieht dabei vor, dass sich der Steuerpflichtige und eine bestimmte Person nahestehen, wenn der Steuerpflichtige zu mindestens 25 % unmittelbar oder mittelbar an der anderen Person beteiligt ist (= wesentlich beteiligt), oder wenn umgekehrt die andere Person unmittelbar oder mittelbar wesentlich am Steuerpflichtigen beteiligt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a). Ein weiterer praktisch bedeutsamer Fall sind Dreiecksverhältnisse, die ebenfalls ein Näheverhältnis begründen können, wenn eine dritte Person bspw. sowohl am Steuerpflichtigen als auch an einer anderen Person wesentlich beteiligt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a).
Rz. 19.3
Absatz 3 (Methodik des Fremdvergleichs). § 1 Abs. 3 enthält (verteilt über sieben Sätze) grundlegende Aussagen zur Methodik des Fremdvergleichs, die in der BFH-Rechtsprechung mit entwickelt wurden und die sich auch im Kern in den international akzeptierten OECD-Verrechnungspreisleitlinien wiederfinden. So wird etwa vorgegeben, dass die Fremdvergleichspreise anhand der "tatsächlichen Verhältnisse " zu bestimmen sind (§ 1 Abs. 3 Satz 1). Ferner ist normiert, dass bei der Bestimmung des Fremdvergleichspreises (zunächst) zu analysieren ist, welche Funktionen die am Geschäftsvorfall beteiligten Personen ausüben, welche Risiken sie diesbezüglich jeweils übernehmen und welche Vermögenswerte sie im Rahmen der Geschäftsbeziehung einsetzen (sog. Funktions- und Risikoanalyse; § 1 Abs. 3 Satz 2). Die tatsächlichen Verhältnisse und die Ergebnisse der Funktions- und Risikoanalyse bilden sodann den Maßstab für den Vergleich des zu untersuchenden Geschäftsvorfalls mit Geschäftsvorfällen zwischen unabhängigen Dritten (sog. Vergleichbarkeitsanalyse; § 1 Abs. 3 Satz 3). Für die Ermittlung der tatsächlichen Verh...