Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 225
Prinzip der Informationstransparenz. Die Passage, dass bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes davon auszugehen ist, dass die voneinander unabhängigen Dritten alle wesentlichen Umstände der Geschäftsbeziehung kennen, wurde mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 in das Gesetz aufgenommen (damals in § 1 Abs. 1 Satz 2). Zur Begründung führt der Gesetzgeber Folgendes aus, dass zur Vermeidung willkürlicher Ergebnisse im Verhältnis der nahestehenden Personen Transparenz hinsichtlich aller Informationen anzunehmen sei, die für die Geschäftsbeziehung wesentlich sind. So werde sichergestellt, dass nicht jeder beliebige Fremdvergleich zu berücksichtigen ist, der auch unter irregulären Umständen (z.B. wegen mangelhafter Information oder Qualifikation) zustande gekommen sein kann. Dies sei insbesondere für den hypothetischen Fremdvergleich wichtig.
Rz. 226
Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz. Das sog. Transparenzprinzip des § 1 Abs. 1 Satz 3 geht davon aus, dass sich Marktpreise unter vollständiger Information bilden. Der Gesetzgeber geht damit – insbesondere bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs – von einer Figur des "allwissenden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (Hellseher)" aus, welcher im allgemeinen Geschäftsverkehr gerade nicht vorliegen kann. Hier ist die Entstehung und Vereinbarung von Marktpreisen vielmehr durch Informationsasymmetrien gekennzeichnet, welche letztlich zu Preisbandbreiten führen. Soweit der Gesetzgeber diese Informationsasymmetrien als "irreguläre Umstände" bezeichnet, negiert er die tatsächlichen Gegebenheiten des Wirtschaftslebens. Dies zeigt sich bspw. beim Unternehmenskauf, wo Verkäufer und Käufer typischerweise unterschiedliche Informationslagen haben. § 1 Abs. 1 Satz 3 widerspricht daher dem fremdüblichen Marktgeschehen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorschrift nicht vom Fremdvergleichsgrundsatz gedeckt; auch die Unionsrechtskonformität der Regelung ist vor diesem Hintergrund fraglich. Denn letztlich wird die Hypothese des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters durch eine unzulässige Fiktion ersetzt. Es ist letztlich nicht vorstellbar, dass eine Person im Geschäftsleben abstrakt über jegliche einschlägige Information verfügt, insbesondere bei der Festlegung von Verrechnungspreisen über die (kalkulatorischen) Vorgaben des Geschäftspartners, der kaum seine Bücher öffnen wird. Im Ergebnis ist der Kenntnisbereich auch des gedachten ordentlichen Geschäftsleiters immer auf die auch tatsächlich erreichbaren Bereiche des Kennens oder Kennenmüssens zu verengen. Der zweite Teil des § 1 Abs. 1 Satz 3, nämlich dass bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes davon auszugehen ist, dass die voneinander unabhängigen Dritten nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln, ist hingegen zutreffend und notwendig, da anderenfalls das Zustandekommen marktkonformer Verrechnungspreise nicht erreicht werden kann (zum Kriterium des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters siehe nachfolgend Rz. 227 ff.