Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
(1) [1] Ein Vermögenswert, der Gegenstand von Bankgeschäften im Sinne des § 1 Absatz 1 des Kreditwesengesetzes oder von Finanzdienstleistungen im Sinne des § 1 Absatz 1a des Kreditwesengesetzes ist, ist einer Bankbetriebsstätte zuzuordnen, wenn die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in dieser Bankbetriebsstätte ausgeübt wird. [2] Unternehmerische Risikoübernahmefunktion bei Kreditinstituten ist die Personalfunktion, deren Ausübung dazu führt, dass die mit dem Vermögenswert verbundenen Chancen und Risiken des Unternehmens entstehen.
Rz. 3405
Unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Kern der Einkünfteabgrenzung bei Bankbetriebsstätten ist nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 die Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ("Key Entrepreneurial Risk Taking Function" – "KERT Function"). Die übrigen Personalfunktionen haben nur einen unterstützenden Charakter. Damit weicht die Terminologie für Bankbetriebsstätten von der "maßgeblichen Personalfunktion" i.S.d. § 2 Abs. 5 BsGaV (Anm. 2944 ff.) ab. Infolgedessen sind in § 19 BsGaV besondere Zuordnungsregeln niedergelegt, die als Spezialregeln den allgemeinen Zuordnungsregeln der §§ 4 bis 11 BsGaV vorgehen. Demnach sind Vermögenswerte, die Gegenstand von Bankgeschäften sind, gem. § 19 Abs. 1 BsGaV einer Bankbetriebsstätte zuzuordnen, wenn diese die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt. Allerdings sind bereits die in diesem einleitenden Absatz eingeführten Begrifflichkeiten stark auslegungsbedürftig. So ist zunächst unklar, welche Vermögenswerte potentiell unter den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Da es sich um solche handeln soll, die im Zusammenhang mit Bankgeschäften i.S.d. § 18 BsGaV entstehen, sollte dies sämtliche Vermögenswerte betreffen, die aus dem Aktiv- und Passivgeschäft von Kreditinstituten resultieren. Dies umfasst u.a. Forderungen aus der Vergabe von Darlehen, aber auch andere Wertpapiere und Barreserven. Zudem sollte sich der sachliche Anwendungsbereich – soweit es sich um Bankgeschäft handelt, bei dem i.d.R. keine Vermögenswerte entstehen (z.B. Provisionsgeschäft) – auch auf die Zuordnung von Transaktionen und den daraus resultierenden Einkünften erstrecken.
Rz. 3406
Entstehen des Vermögenswerts. Offenkundig soll es mit Blick auf einen einzelnen Vermögenswert immer nur eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion geben können, die die jeweils wesentliche Personalfunktion i.S.d. §§ 19 ff. BsGaV ist. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BsGaV ist die unternehmerische Risikoübernahmefunktion bei Kreditinstituten diejenige Personalfunktion, deren Ausübung dazu führt, dass die mit dem (finanziellen) Vermögenswert verbundenen Chancen und Risiken des Unternehmens entstehen (d.h. sowohl Chancen und Risiken des finanziellen Vermögenswerts selbst als auch Chancen und Risiken der unternehmerischen Verwendung des Vermögenswerts). Insoweit liegt der BsGaV die Annahme zugrunde, dass es allein auf die Personalfunktionen, die für das Entstehen (nicht das weitere Halten) eines Vermögenswerts von Belang sind, ankommt. Welche Personalfunktionen wiederum i.d.R. für das Entstehen eines Vermögenswertes von Bedeutung sind, wird durch die BsGaV nicht erläutert. Mangels einer Konkretisierung des Begriffs "Chancen" stellt sich weiterhin die Frage, ob jede Personalfunktion, aus der sich Chancen ergeben, zugleich eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion sein kann. Dies würde aber häufig zu wenig sachgerechten Ergebnissen führen. So sind sämtliche Kundengespräche und damit auch solche, die keine bankrechtlich relevanten Entscheidungen zur Folge haben, mit dem Entstehen von Chancen verbunden. Mithin könnten alle Kundengespräche eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion am Ort der Durchführung des jeweiligen Kundengesprächs begründen.
Rz. 3407
Vorrang der Schaffung des finanziellen Vermögenswerts. Die Finanzverwaltung differenziert zwischen den Personalfunktionen, die der Schaffung eines neuen finanziellen Vermögenswerts (Kredit) dienen, und den Personalfunktionen, die der Verwaltung eines existierenden finanziellen Vermögenswerts (z.B. Kredit) dienen. Dabei wird der Vertriebsfunktion deutlicher Vorrang vor (vermeintlich) verwaltenden Funktionen eingeräumt. Dementsprechend stellen nach Auffassung der Finanzverwaltung die Personalfunktionen, die der Schaffung eines neuen finanziellen Vermögenswerts (Kredit) dienen, den Regelfall der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion dar. Für die Schaffung eines neuen finanziellen Vermögenswerts sind insbesondere die folgenden Personalfunktionen von Bedeutung:
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Sales/Marketing: Akquisition von Neukunden, Betreuung von bestehenden Kundenbeziehungen, Erörterung des Finanzierungsbedarfs des Kunden und der Finanzierungsprodukte der Bank; |
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Sales/Trading: Aushandeln der Vertragsbedingungen, Bewertung der Risiken (Kreditausfall-, Währungs-, Markt- und andere Risiken), Entscheidung über die Kreditvergabe und über deren Bedingungen ... |