Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
a) Abkommensrecht
Rz. 2815
Verhältnis zwischen § 1 Abs. 5 und DBA. Nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 sind bei der Zuordnung der Gewinne für Zwecke der Anwendung des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA 2010 einer Betriebsstätte diejenigen Gewinne zuzurechnen, "die sie hätte erzielen können, insbesondere im Verkehr mit anderen Teilen des Unternehmens, dessen Betriebsstätte sie ist, wenn sie als selbständiges und unabhängiges Unternehmen eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte; dabei sind die vom Unternehmen durch die Betriebsstätte und durch andere Unternehmensteile ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen". Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 setzt den mit dem OECD-Betriebsstättenbericht 2008 v. 17.7.2008 erstmals als "Authorised OECD Approach" (AOA) veröffentlichten "Functionally Separate Entity Approach" abkommensrechtlich um. Im Rahmen dieser Umsetzung erfolgte auch eine entsprechende Neufassung des OECD-MK zu Art. 7. Die Einzelheiten der abkommensrechtlichen Anwendung des AOA sind im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 v. 22.7.2010 niedergelegt.
Umgesetzt wurde die Neufassung des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA durch die Bundesrepublik Deutschland bisher in den DBA mit Liechtenstein, den Niederlanden, Luxemburg und Japan. Daneben enthalten die Änderungsprotokolle zu den DBA mit Norwegen, Großbritannien, Irland, Dänemark, Zypern und Schweden den AOA. Darüber hinaus entspricht das Ergänzungsprotokoll Nr. 4 zu Art. 7 DBA-USA inhaltlich dem AOA, weshalb dieser im Ergebnis auch für das DBA-USA anwendbar ist.
Sowohl nach § 1 Abs. 5 als auch nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 ist die Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätten und dem übrigen Unternehmen auf der Grundlage einer Fiktion der Selbständigkeit der Betriebsstätte vorzunehmen. Die Regierungsbegründung zum JStG 2013 verweist ausdrücklich darauf, dass Art. 7 OECD-MA und dessen MK inhaltlich in innerstaatliches Recht umzusetzen seien, was durch die Einfügung des § 1 Abs. 5 erfolge. Inhaltlich ist daher grundsätzlich von einer weitgehenden Übereinstimmung der Gewinnabgrenzung nach § 1 Abs. 5 und nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 auszugehen. Insbesondere sollte es nach der hier vertretenen Auffassung möglich sein, in Zweifelsfällen bei der abkommensrechtlichen Auslegung auf die zu § 1 Abs. 5 ergangenen Rechtsvorschriften und Verlautbarungen (insbesondere die BsGaV und die VWG BsGa) zurückzugreifen. Dies sieht auch die Finanzverwaltung in Tz. 1.2.1 VWG BsGa explizit vor. Allerdings bestehen in Einzelbereichen durchaus Abweichungen zwischen der OECD-Auffassung und dem deutsch-steuerlichen Verständnis des AOA. So ist etwa nach Tz. 72 des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 auch für materielle Wirtschaftsgüter eine anteilige Zuordnung möglich, während die BsGaV eine solche nur für immaterielle Werte vorsieht (Rz. 3033, 3063 ff.).
Im Hinblick auf die deutsche Abkommenspraxis, die Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 bisher erst in vergleichsweise wenigen Fällen in konkrete DBA umgesetzt hat (s.o.), dürfte dagegen in der Praxis eine Übereinstimmung von § 1 Abs. 5 mit dem jeweils anzuwendenden DBA häufig nicht bestehen, weil die anzuwendenden abkommensrechtlichen Regelungen dem Grundsatz der eingeschränkten Selbständigkeit der Betriebsstätte nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 folgen ("Gewinne [...], die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre"). Fraglich ist, inwieweit der am 17.7.2006 veröffentlichte, bereits grundlegende Teile des AOA umsetzende OECD-MK 2008 zur Auslegung von DBA herangezogen werden kann, die eine Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 entsprechende Vorschrift enthalten. Nach der auf den Willen der Vertragsparteien abstellenden Rspr. des BFH ist dies zumindest hinsichtlich solcher DBA nicht möglich, die vor dem 17.7.2008 unterzeichnet wurden. Bei neueren DBA, die nach Veröffentlichung des OECD-MK 2008 unterzeichnet worden sind, ist demgegenüber eine AOA-nahe Auslegung aber denkbar. Dies stellt allerdings nicht sicher, dass die Auslegung des jeweiligen DBA kongruent mit dem in § 1 Abs. 5 Sätze 1–7 statuierten AOA ist. Der Gesetzgeber geht ausweislich der Regierungsbegründung zum JStG 2013 jedenfalls davon aus, dass im Fall einer DBA-Auslegung auf der Grundlage des OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA 2008 die Escape-Klausel des § 1 Abs. 5 Satz 8 (Rz. 2891 ff.) grundsätzlich anwendbar ist, was implizit eine Abweichung der abkommensrechtlichen Gewinnabgrenzungsvorschriften vom AOA unterstellt (Rz. 2893). Zu dem nach Ansicht der Finanzverwaltung bestehenden eingeschränkten Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 Satz 8 im Fall von DBA zu OECD-Mitgliedsstaaten s. Rz. 2893.
Grundsätzlich stehen di...