Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
a) Überblick
Rz. 1306
Gesetzesänderung durch das AbzStEntModG mit Wirkung ab dem VZ 2022. Die Möglichkeiten zur Einzelbewertung der verlagerten Wirtschaftsgüter wurden mit dem AbzStEntModG wesentlich geändert. Vor dem Hintergrund, dass Funktionsverlagerungen, die vor der Änderung durch das AbzStEntModG erfolgt sind, aktuell noch Gegenstand von Betriebsprüfungen sind und nicht auszuschließen ist, dass derartige Fälle auch noch Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung werden, bleibt die frühere Rechtslage jedoch weiter relevant. Demnach wird im Folgenden auch die bis 2021 geltende Rechtslage erläutert.
Rz. 1307
Zulässigkeit einer Einzelbewertung in den gesetzlich geregelten Fällen. § 1 Abs. 3 Satz 10 a.F. differenzierte zwischen drei eigenständigen Konstellationen, in denen eine Einzelbewertung zulässig war und deren Voraussetzungen stets unabhängig voneinander zu prüfen waren. Zu beachten war, dass in diesen Fällen gleichwohl eine Funktionsverlagerung vorlag und daher insbesondere die gesetzlichen Dokumentationspflichten (Rz. 1318) zu erfüllen waren. Dies wurde in Rz. 70 der VWG-Funktionsverlagerung ausdrücklich klargestellt. Nach dem früheren Recht war eine Einzelbewertung in folgenden Fällen zulässig:
- Der Steuerpflichtige macht glaubhaft, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 a.F.);
- Der Steuerpflichtige macht glaubhaft, dass die Summe der angesetzten Einzelverrechnungspreise, gemessen an der Bewertung des Transferpakets als Ganzes, dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 2 a.F.);
- Der Steuerpflichtige macht glaubhaft, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut, das er genau bezeichnet, Gegenstand der Funktionsverlagerung ist (§ 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 a.F.).
Rz. 1308
Grundsatz der Gesamtbewertung führt zu unzulässiger Beweislastumkehr. Macht man sich die dominierende Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter bei Funktionsverlagerungen klar, wird deutlich, dass in der Mehrzahl der Fälle die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 a.F. erfüllt gewesen sein sollten. In den noch verbliebenen Fällen dürften dann regelmäßig die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 a.F. vorgelegen haben. Anders als die gesetzliche Regelung auf den ersten Blick nahelegt, war die Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 a.F. daher eher die Ausnahme, während die Einzelbewertung nach § 1 Abs. 3 Satz 10 a.F. die Regel gewesen sein dürfte. Die Vorschriften zur Ermittlung des Verrechnungspreises bei Funktionsverlagerungen bewirkten (und bewirken) damit im Ergebnis nichts anderes als eine Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen, da dieser die Voraussetzungen zur Einzelbewertung glaubhaft machen musste bzw. muss. Hiergegen bestanden (und bestehen auch nach wie vor) erhebliche Bedenken, da im Rahmen der Gesamtbewertung nach § 1 Abs. 3b Satz 1 ein Mehrwert besteuert werden soll. Dabei handelt es sich um eine steuererhöhende Tatsache, sodass die Beweislast an sich bei der Finanzverwaltung läge.
b) Keine Verlagerung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter oder Vorteile
Rz. 1309
Auslegung der Begriffe des immateriellen Wirtschaftsguts und des Vorteils. Nach § 1 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 1 Alt. 1 a.F. war eine Einzelbewertung der im Rahmen einer Funktionsverlagerung übertragenen oder zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter zunächst dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft machte, dass keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter und Vorteile Gegenstand der Funktionsverlagerung waren. Fraglich war dabei jedoch, wie die Begriffe des immateriellen Wirtschaftsguts und des Vorteils auszulegen waren. Das Gesetz definierte diese Begriffe nicht. Auch die FVerlV und die VWG-Funktionsverlagerung enthalten keine Definition. Vor diesem Hintergrund konnte auf die höchstrichterliche Rspr. zur Definition immaterieller Wirtschaftsgüter zurückgegriffen werden. Immaterielle Wirtschaftsgüter sind danach alle unkörperlichen Vermögenswerte für den Betrieb, insbesondere Rechte und tatsächliche Positionen, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt, die einer besonderen Bewertung zugänglich sind, i.d.R. eine Nutzung für mehrere Wirtschaftsjahre erbringen und zumindest mit dem Betrieb übertragen werden können. Unter den Begriff des Vorteils dürften alle sonstigen Vermögenswerte fallen, die die Voraussetzungen eines immateriellen Wirtschaftsguts nicht erfüllen, aber als geschäftswertbildende Faktoren Bestandteil des Geschäfts- oder Firmenwerts sind und wenigstens ein Mindestmaß an Konkretisierung aufweisen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang etwa an eingearbeitetes Personal oder Lieferantenbeziehungen. Auch singuläre und unternehmerische Geschäftschancen können unter den Begriff des Vorteils gefasst werden. Da es sich bei diesen Vermögenswerten um kein...