Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 139
Unterscheidung zwischen tatsächlicher und fiktiver Unabhängigkeit. Im Rahmen des Merkmals der Unabhängigkeit der Geschäftspartner ist zwischen tatsächlicher und fiktiver Unabhängigkeit zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist im Hinblick auf die Technik eines vorzunehmenden Fremdvergleichs, insbesondere bei Anwendung der Standardmethoden, erforderlich. Sind zwei Geschäftspartner nach der nachfolgend dargestellten Definition als tatsächlich unabhängig anzusehen, so erübrigt sich die Zugrundelegung einer fiktiven Unabhängigkeit. Die fiktive Unabhängigkeit ist daher nur im Fall des Nicht-Vorhandenseins von Geschäften zwischen tatsächlich Unabhängigen von Bedeutung.
Rz. 140
Tatsächliche Unabhängigkeit. Die Rechtsnormen des deutschen Steuerrechts zur Einkunftsabgrenzung, die einen Fremdvergleich fordern (Rz. 21 ff.), enthalten keine Anhaltspunkte zur Bestimmung des Begriffs des unabhängigen Dritten. Auch die VWG VP 2023 erläutern in Tz. 1.9 in Anlehnung an § 1 Abs. 2 lediglich den Begriff der "nahestehenden" Person als Tatbestandsvoraussetzung einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1. Es stellt sich daher die Frage, ob Geschäftsbeziehungen zwischen Personen bzw. Unternehmen, die nicht als "nahestehende" Personen qualifiziert werden können, als solche zwischen unabhängigen Dritten anzusehen sind. Gegen die Annahme einer komplementären Beziehung zwischen dem Begriff der "nahestehenden Person" und dem des "unabhängigen Dritten" sprechen die unterschiedlichen Zwecksetzungen dieser beiden Begriffskategorien. Daher sollte von einer tatsächlichen Unabhängigkeit der Unternehmen immer nur dann ausgegangen werden, wenn weder dem leistungserbringenden Unternehmen noch dem leistungsempfangenden Unternehmen Mittel zur Verfügung stehen, die geeignet sind, "in allen wesentlichen Punkten von unternehmenspolitischer Bedeutung auf die Geschäftsführung eines anderen Unternehmens – auch gegen dessen Widerstand – einzuwirken". Von einer Unabhängigkeit der Unternehmen ist somit immer dann auszugehen, wenn eine Einflussnahme auf das Entscheidungsverhalten der einzelnen Geschäftspartner, die über den aus der Geschäftsbeziehung selbst entstehenden Einfluss hinausgeht, ausgeschlossen ist.