Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
I. Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes (§ 1 Abs. 1 Satz 1)
1. Tatbestandsvoraussetzungen
a) Einkünfte
[1] Werden Einkünfte ...
Rz. 101
Begriff "Einkünfte". An sich sind unter "Einkünfte" alle i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG zu verstehen, d.h., es kommt für die Anwendung des § 1 weder auf die Einkunftsart noch auf die Einkünfteermittlungsart (Bilanzierung, Überschussrechnung, Durchschnittssätze) an. Es ist weder erforderlich noch schädlich, wenn der Steuerpflichtige Einkünfte kraft Rechtsform erzielt. Jedoch versteht sich der Einkünftebegriff i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG als ein Nettobetrag, der sich auf Vermögenszugänge und -abgänge innerhalb eines Kalender- bzw. Wirtschaftsjahres bezieht. Der Einkünftebegriff des § 1 bezieht sich dagegen auf das Bruttoentgelt aus einem einzelnen Geschäftsvorfall. Das Bruttoentgelt muss erfolgswirksam zu erfassen sein, weil andernfalls eine Einkünfteminderung nicht denkbar ist. Insoweit enthält der Einkünftebegriff des § 1 abweichende Besonderheiten, die jedoch mit denen der vGA, der Einlage und der Entnahme vergleichbar sind.
Rz. 102
Erfolgsneutrale Vorgänge und Anwendung auf Einkünfte vor Anwendung des § 1. Unter den Einkünftebegriff des § 1 fallen keine Vermögenszugänge und -abgänge, die bei der Einkünfteermittlung erfolgsneutral anzusetzen sind. Dazu gehören z.B. die Auszahlung oder Rückzahlung von Darlehen, Einlagen u.a.m. Problematisch ist die Antwort auf die Frage, ob sich der Einkünftebegriff auf die Einkünfte vor oder nach Anwendung von anderen Einkünftekorrekturvorschriften bezieht. Geht man von der Einkünftedefinition des § 2 Abs. 1 EStG aus, so fällt auch jede Einkünfteerhöhung aufgrund einer Einkünftekorrekturvorschrift unter den Einkünftebegriff. Der Logik der Sache nach kann sich der Einkünftebegriff des § 1 jedoch nur auf den Betrag vor Anwendung dieser Vorschrift beziehen. Es ist gerade die Funktion des § 1, eine vorher eingetretene Minderung des (vorläufigen) Einkünftebetrages auszugleichen. Dies belegt die Formulierung "unbeschadet anderer Vorschriften". Danach soll § 1 nur dann und nur insoweit Anwendung finden, als die Einkünfte nicht schon nach anderen Vorschriften zu korrigieren sind (Rz. 172 ff.). Unter Einkünften ist deshalb ein vorläufig ermittelter Nettobetrag zu verstehen, der sich aufgrund der erfolgswirksam anzusetzenden Entgelte aus einzelnen Geschäftsvorfällen nach Anwendung der Einkünfteermittlungsvorschriften unter Einbeziehung von Einkünftekorrekturvorschriften, jedoch vor Anwendung des § 1 ergibt.
Rz. 103
Fehlende Einkünfteerzielungsabsicht. Gewährt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger einer ihm nahestehenden und im Ausland ansässigen Person ein zinsloses Darlehen, das die nahestehende Person im Ausland zur Einkünfteerzielung i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG einsetzt, so fehlt es in der Person des unbeschränkt Steuerpflichtigen schon dem Grunde nach an einer Einkünfteerzielungsabsicht im steuerrechtlichen Sinne und damit an einem einkommensteuerrechtlich relevanten Tatbestand jedenfalls dann, wenn das Darlehen keiner vom Steuerpflichtigen betrieblich und mit Gewinnerzielungsabsicht im Übrigen ausgeübten Tätigkeit zugeordnet werden kann. Es fragt sich, ob in einem solchen Fall § 1 anwendbar ist, wenn man eine Verwendung des Darlehensbetrages durch den Darlehensnehmer im Rahmen von Einkünften i.S.d. §§ 13, 15, 18 oder 21 EStG unterstellt. Die Bejahung dieser Frage setzt voraus, dass man unter den Einkünften, die mit Einkünfteerzielungsabsicht erzielt werden, den auch nach § 1 korrigierten Betrag versteht. Dies steht einerseits mit dem Erfordernis einer Einkünfteminderung nicht in Einklang. Andererseits ist es schon deshalb widersinnig, weil der Steuerpflichtige im Zweifel gerade nicht die Absicht hat, einen Korrekturbetrag nach § 1 zu erzielen. Bei wortgetreuer Auslegung deckt deshalb § 1 AStG diesen Fall nicht ab. § 1 ist eben nur Einkünftekorrekturvorschrift. Die Vorschrift greift nicht in den Einkünfteerzielungstatbestand ein, sondern setzt einen solchen voraus. Ob ein Einkünfteerzielungstatbestand verwirklicht wurde, beurteilt sich ausschließlich nach § 2 Abs. 1 EStG i.V.m. § 38 AO. Danach setzen alle Einkünfteerzielungstatbestände die Absicht der Einkünfteerzielung voraus. Fehlt es an einer solchen Absicht, so fehlt es an einer Einkünfteerzielung im steuerrechtlichen Sinne. Damit ist eine Minderung der Einkünfte i.S.d. § 1 ausgeschlossen. Dieses Ergebnis ergibt auch Sinn, wenn man sich vorstellt, dass ein im Inland lebender Vater seinen beiden einmal im Inland und einmal im Ausland lebenden Kindern gleich hohe zinslose Darlehen gewährt. Es wäre eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn man eine Einkünftekorrektur nur bei der Darlehensgewährung über die Grenze durchführen und den reinen Inlandsfall nicht besteuern wollte. Allerdings ist eine Einkünfteerzielungsabsicht zu bejahen, wenn das Darlehen nur zu unangemessen niedrigen Zinsen vergeben wird. Die Bejahung schließt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht aus. Ist die Darlehenshingabe Teil einer anderen Tätigkeit, die mit Einkünfteerzielungsabsicht ausg...