Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1277
Unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nicht fremdvergleichskonform. Zur Ermittlung des Einigungsbereichs ist zu klären, über welchen Zeitraum die aus dem Transferpaket zu erwartenden Gewinne bzw. finanziellen Überschüsse zu prognostizieren sind. Nach § 6 FVerlV 2008 bzw. § 5 FVerlV 2022 ist bei der Ermittlung der auf das Transferpaket entfallenden Gewinne grundsätzlich von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen. Dies soll notwendig sein, damit die erforderlichen Berechnungen rechtssicher vorgenommen werden können. Ferner wird darauf verwiesen, dass auch für Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerungen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum angewendet wird und Funktionsverlagerungen solchen Vorgängen ähnlich seien. Die Auffassung des Verordnungsgebers kann nicht überzeugen. Die Annahme eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums geht in der Mehrzahl der Funktionsverlagerungen an der Wirklichkeit vorbei und setzt sich damit in Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz. So müssen etwa bei der Verlagerung einer Vertriebsfunktion die Laufzeit des Vertriebsvertrags oder, falls diese unbegrenzt ist, die gesetzlichen Kündigungsfristen berücksichtigt werden. Bei einer Produktionsverlagerung müssen Produktlebenszyklen beachtet werden, da gerade in der heutigen Zeit Produkte, wenn sie nicht laufend weiterentwickelt werden, schnell veralten und ihre Produktion eingestellt wird. Bei immateriellen Wirtschaftsgütern muss zudem die Laufzeit von Schutzrechten in Rechnung gestellt werden, da ein fremder Dritter nur für diesen Zeitraum bereit wäre, ein Nutzungsentgelt zu bezahlen. Vor diesem Hintergrund dürfte ein Kapitalisierungszeitraum von drei bis fünf Jahren, wie er im Schrifttum vorgeschlagen wird, sachgerechter und auch fremdvergleichskonform sein. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass Funktionen nicht in allen Fällen auf Dauer ins Ausland verlagert werden. Denkbar ist im Einzelfall auch eine nur zeitlich begrenzte Verlagerung. in solchen Fällen widerspricht die Annahme eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums dem Fremdvergleichsgrundsatz. Derlei Umstände, die die Nutzungsdauer der Funktion beeinflussen, werden auch von der Finanzverwaltung gesehen. So spricht es nach Ansicht der Finanzverwaltung etwa für einen längeren Nutzungs- und damit Kapitalisierungszeitraum, wenn bei den erwarteten finanziellen Überschüssen des übernehmenden Unternehmens eigene Aufwendungen für den Erhalt bzw. Ersatz immaterieller Werte berücksichtigt wurden. Umgekehrt soll jedoch nicht zwingend ein kürzerer Kapitalisierungszeitraum anzunehmen sein, wenn in den erwarteten finanziellen Überschüssen keine Aufwendungen für den Erhalt bzw. den Ersatz immaterieller Werte enthalten sind.
Rz. 1278
Möglichkeit der Glaubhaftmachung eines begrenzten Kapitalisierungszeitraums gemäß § 6 FVerlV 2008. Vor dem Hintergrund, dass die Annahme eines unbegrenzten Kapitalisierungszeitraums in der Regel nicht sachgerecht ist, ist es zu begrüßen, dass für den Steuerpflichtigen nach § 6 FVerlV 2008 die Möglichkeit besteht, im Einzelfall einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum glaubhaft zu machen. Für eine Glaubhaftmachung muss der Steuerpflichtige Gründe vortragen, die einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum wahrscheinlicher erscheinen lassen als einen unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum. Daneben ist nach § 6 FVerlV 2008 auch dann von einem begrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen, wenn Gründe für einen solchen ersichtlich sind. Hiermit dürften Fälle angesprochen sein, in denen ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum unabhängig von einer Glaubhaftmachung durch den Steuerpflichtigen aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls praktisch ins Auge springt. Vor diesem Hintergrund wird ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein. Diese Erkenntnis kommt auch in den VWG-FVerl. zum Ausdruck. Denn nach Rz. 109 der VWG-Funktionsverlagerung soll ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum nur dann zur Anwendung kommen, wenn es sich bei der verlagerten Funktion um einen Betrieb, einen Teilbetrieb oder wenigstens um eine Einheit handelt, die wirtschaftlich eigenständig lebensfähig ist und weitgehend einem Teilbetrieb entspricht. Dies ist bei Funktionsverlagerungen regelmäßig nicht der Fall. Je weiter die verlagerte Funktion dagegen unterhalb der Schwelle eines Teilbetriebs liegt, umso eher soll ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum anzusetzen sein. Im Ergebnis bewirkt § 6 FVerlV 2008 damit eine Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen. Da ein unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum zu einem höheren Verrechnungspreis führt, handelt es sich um eine steuererhöhende Tatsache, sodass die Beweislast an sich bei der Finanzverwaltung läge. Nach Rz. 112 der VWG-Funktionsverlagerung sowie nach Rz. 3.110 VWG VP 2023 kann sowohl für das übertragende als auch für das übernehmend...