Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 33
Vorrang der Entstrickungsvorschriften und Wertaufhellerklausel. Mit der Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 3 und 4 sind Betriebsstättengewinne – und insb. auch Wirtschaftsgüter – auf der Basis einer fiktiven Selbständigkeit der Betriebsstätte zu ermitteln bzw. zuzuordnen, was Folgen für die Anwendung von Entstrickungsvorschriften beinhaltet. Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 5 AStG i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV führt eine Änderung der Zuordnung eines Wirtschaftsguts oder Vermögenswerts) zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung, die mit einem Verrechnungspreis, der aus dem Fremdvergleichsgrundsatz abgeleitet wird, zu bewerten ist. Die Überführung eines Wirtschaftsguts als Folge einer geänderten Zuordnung hat daher zur Folge, dass eine fiktive Veräußerung des Wirtschaftsguts unterstellt wird, die mit dem Fremdvergleichspreis zu bewerten ist. Daher kommt es zu einer Steuerentstrickung, sodass sich zwangsläufig die Frage der Konkurrenz des § 1 Abs. 5 und der BsGaV zu den Entstrickungsvorschriften des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, des § 12 Abs. 1 KStG und des § 16 Abs. 3a EStG stellt. Diese Gewinnermittlungsvorschriften stehen unabhängig neben der Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 Abs. 5. Daran ändert auch der Verweis des § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG auf § 4g EStG nichts. Da § 1 Abs. 1 Satz 1 seine Anwendung "unbeschadet anderer Vorschriften" definiert, gehen die Entstrickungsvorschriften seiner Anwendung vor. Rechtsgrundlage für die Entstrickung stiller Reserven bei der Überführung eines Wirtschaftsguts von einem inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte sind damit zunächst – ihre Anwendbarkeit vorausgesetzt – § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, § 12 Abs. 1 KStG und § 16 Abs. 3a EStG. Nach § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG sind allerdings außerbilanzielle Einkünftekorrekturen neben den Rechtsfolgen der Entstrickungsvorschriften durchzuführen, wenn die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 AStG zu weitergehenden Berichtigungen führt. Dies kann z.B. bei Funktionsverlagerungen oder der Anwendung der sog. "Hellseher"-Regelung gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 der Fall sein.
Rz. 33.1
Zu weiter Anwendungsbereich. Problematisch ist schließlich die in § 1 Abs. 5 vorgesehene undifferenzierte Anwendung der Vorschrift auf sämtliche DBA- und Nicht-DBA-Fälle. Infolgedessen greift die Vorschrift auch in Bezug auf DBA, die nicht dem AOA des Art. 7 OECD-MA 2010 folgen (dies ist derzeit noch die weite Mehrheit der deutschen DBA). Infolgedessen besteht das Risiko, dass in Bezug auf DBA, welche dem OECD-MA 2008 folgen, der andere Vertragsstaat die in § 1 Abs. 5 vorgesehene Anwendung des AOA nicht anerkennt und infolgedessen eine internationale Doppelbesteuerung entsteht (vgl. zu Einzelheiten Rz. 13.12). Die Doppelbesteuerung kann dann nur über Verständigungs- oder Schiedsverfahren vermieden werden. Der Gesetzgeber hat diese Problematik erkannt und in § 1 Abs. 5 Satz 3 einen (eigentlich selbstverständlichen) Vorrang des Abkommensrechts definiert. Dieser enthält einen formalen "treaty override", in dem die abkommensrechtliche Schrankenwirkung an einen Nachweis geknüpft ist, dass der andere Vertragsstaat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem DBA ausübt und infolgedessen die Anwendung des AOA zu einer Doppelbesteuerung führt. Wie ein entsprechender Nachweis praktisch zu führen ist, bleibt offen.
Rz. 33.2
Bildung eines Ausgleichspostens gem. § 4g EStG. Nach § 1 Abs. 5 Satz 6 wird die Möglichkeit, einen Ausgleichsposten nach § 4g EStG zu bilden, durch die Implementierung des AOA in § 1 Abs. 5 und die BsGaV nicht eingeschränkt. Kommt es infolgedessen zu einer fiktiven Veräußerung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte, kann ein Ausgleichsposten nach § 4g EStG auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 gebildet werden. In diesem Zusammenhang muss man allerdings sehen, dass die Entstrickungsregelungen des EStG und KStG der Anwendung des § 1 vorgehen (vgl. Rz. 33), sodass der Anwendungsbereich des § 4g EStG im Zusammenhang mit § 1 Abs. 5 eingeschränkt ist. Darüber hinaus bezieht sich § 4g EStG ausdrücklich auf ein "Wirtschaftsgut des Anlagevermögens", sodass ein Ausgleichsposten im Zusammenhang mit der Überführung eines Vermögenswerts, der nicht die Kriterien eines Wirtschaftsguts erfüllt, nicht gebildet werden kann. Dies ist insofern nicht sachgerecht, als es keine systematischen Gründe gibt, die Überführung von Vermögenswerten im Zusammenhang mit der Bildung eines Ausgleichspostens anders zu behandeln als die Überführung von Wirtschaftsgütern. Dies gilt auch für Funktionsverlagerungen, die gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 3b Satz 1 – unabhängig von der Art der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (z.B. Überführung von Wirtschaftsgütern, Nutzungsüberlassung von Vermögenswerten, Erbringung von Dienstleistungen) – mit einem Transferpaket zu bewerten sind. Da das Transferpaket „ als Ganzes ” in der Regel nicht die Voraussetzungen eines Wirtscha...