Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 42
Abkommensrechtliches Besteuerungsrecht auf stille Reserven. Sowohl Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008 als auch Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 gewähren den Vertragsstaaten das Recht, in einem Wirtschaftsgut gebildete stille Reserven im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts zu besteuern. Dies gilt im Übrigen auch für die Besteuerung von unternehmensinternen Gebühren für die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern (z.B. fiktive Lizenzgebühren), wobei sich unterschiedliche Rechtsfolgen aus dem OECD-MA 2008 und OECD-MA 2010 ergeben können (vgl. nachfolgende Rz. 43). Infolgedessen ist die in § 1 Abs. 5 i.V.m. der BsGaV angeordnete Besteuerung stiller Reserven abkommensrechtlich möglich. Das Abkommensrecht lässt es dabei offen, in welchem Zeitpunkt die stillen Reserven besteuert werden; dies ist alleine Regelungsgegenstand des innerstaatlichen Rechts. Nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008/2010 ist infolgedessen eine sofortige Gewinnrealisierung genauso möglich wie eine aufgeschobene Besteuerung (Ausgleichspostenmethode) oder eine Besteuerung im Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven. Korrekturen gem. § 1 Abs. 5 in Bezug auf unternehmensinterne Dienstleistungen sind abkommensrechtlich dagegen nur möglich, wenn das einschlägige DBA Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 folgt.
Rz. 43
Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern. Abkommensrechtlich geht die Frage dahin, ob im Fall einer (fingierten) Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsguts Deutschland als Ansässigkeitsstaat (Stammhausstaat) ein Besteuerungsrecht auf eine fiktive Nutzungsentnahme oder eine fiktive Nutzungs- oder Lizenzgebühr zusteht. Dies ist unter Berücksichtigung von Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 zu bejahen; denn unter Berücksichtigung des AOA sind der Fremdvergleichsgrundsatz und die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte uneingeschränkt anzuwenden, d.h., dass die durch einen Unternehmensteil (z.B. Stammhaus) für die Entwicklung oder den Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts wahrgenommenen Funktionen 'und Risiken im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung durch eine fremdvergleichskonforme Vergütung (z.B. Lizenzgebühr) abzugelten sind. In diesem Zusammenhang weist die OECD zutreffend darauf hin, dass Verträge (insbesondere Lizenzverträge) zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht abgeschlossen werden können. Infolgedessen ist von entscheidender Bedeutung, welchem Unternehmensteil das immaterielle Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der wesentlichen Personalfunktionen zuzuordnen ist. Dabei sei – so die OECD – von einem Lizenzverhältnis auszugehen, wenn ein solches auch zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wäre. Folgt das einschlägige DBA indessen dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008, ist umstritten, ob aus dieser abkommensrechtlichen Norm ein Besteuerungsrecht auf fingierte Nutzungsentgelte zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte besteht. Dies ist nur dann der Fall, wenn der uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte gefolgt wird. Wird hingegen die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte nur eingeschränkt interpretiert, ergibt sich kein Besteuerungsrecht.