Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
Rz. 1319
Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Nach § 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c AO sind seit dem 1.7.2020 unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 138d ff. AO Verrechnungspreisgestaltungen gegenüber dem BZSt anzeigepflichtig, bei denen innerhalb von verbundenen Unternehmen eine grenzüberschreitende Übertragung oder Verlagerung von Funktionen, Risiken Wirtschaftsgütern oder sonstigen Vorteilen stattfindet und der erwartete jährliche Gewinn vor Zinsen und Steuern des übertragenden Unternehmens über einen Zeitraum von drei Jahren nach der Übertragung weniger als 50 % des jährlichen Gewinns vor Zinsen und Steuern des übertragenden Unternehmens beträgt, der erwartet worden wäre, wenn die Übertragung nicht stattgefunden hätte. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind demnach die Folgenden:
- grenzüberschreitende Übertragung oder Verlagerung,
- zwischen verbundenen Unternehmen,
- von Funktionen, Risiken, Wirtschaftsgütern oder sonstigen Vorteilen,
- wesentliche Gewinnauswirkung.
Die Voraussetzungen des Kennzeichens nach § 138d Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c sind demnach an die der Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3b angelehnt, wenn auch nicht deckungsgleich, da insb. ein Unterschied hinsichtlich des Merkmals der Gewinnauswirkung besteht. Denn für den Tatbestand der Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b ist das Erfordernis der erheblichen EBIT-Minderung indessen nicht von Relevanz. Auch insgesamt sind die Funktionsverlagerung gemäß § 1 Abs. 3b und die Anzeigepflicht für Funktionsverlagerungen (etwa durch einen Normverweis) nicht aneinandergekoppelt oder aufeinander abgestimmt. Insoweit kann bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Anzeigepflicht bestehen, auch wenn keine Funktionsverlagerungsbesteuerung erfolgt; umgekehrt ist eine Einkünftekorrektur auch denkbar, ohne dass eine Anzeigepflicht bestand. Sofern eine Funktionsverlagerung i.S.d. § 1 Abs. 3b gegeben ist, besteht somit eine Anzeigepflicht nur dann, wenn sich die Funktionsverlagerung erheblich auf das erwartete EBIT des übertragenden Unternehmens auswirkt, d.h. wenn der Verlagerungsvorgang mit einer Funktionseinstellung oder einer erheblichen Funktionseinschränkung einhergeht. Bei der Beurteilung, ob eine erhebliche EBIT-Auswirkung vorliegt, ist auf die Erwartungen im Zeitpunkt der Übertragung abzustellen. Das Gesetz normiert einen Beobachtungszeitraum von drei Jahren. Mangels näherer Hinweise könnte von einer wesentlichen Gewinnauswirkung i.S.d. Vorschrift auszugehen sein, wenn erwartungsgemäß das EBIT in einem der drei der Verlagerung folgenden Jahre (d.h. t1, t2 oder t3) voraussichtlich weniger als 50 % des gedachten (jährlichen)BIT ohne Verlagerung beträgt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist auf eine durchschnittliche Betrachtung über den Dreijahreszeitraum abzustellen. Da der Vergleich zwei zukunftsgerichtete Gewinnszenarien betrifft, sind entsprechende Annahmen zu treffen. Nach dem Gesetzeswortlaut soll davon auszugehen sein, "dass die verbundenen Unternehmen nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln". Das Merkmal knüpft folglich u.a. an die langjährige BFH-Rechtsprechung an. Im Kern ist hierunter wohl zu verstehen, dass für die Bestimmung des EBIT von einer Situation auszugehen ist, in der das Unternehmen – mit bzw. ohne Verlagerung – nach dem Gesetz und den Grundsätzen einer ordentlichen Unternehmensführung weitergeführt wird. Dieses Erfordernis ist denkbar unkonkret, auslegungsbedürftig und damit streitanfällig. Es scheint daher empfehlenswert, im Zeitpunkt einer mitteilungspflichtigen Funktionsverlagerung entsprechende Beweisvorsorge zu treffen, bspw. in Form von Planrechnungen. Der Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Funktionsverlagerungen kommt offenbar in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zu. Konkret soll ein erheblicher Anteil der beim BZSt eingehenden Mitteilungen (auch) auf dieses Kennzeichen entfallen. Damit wird die Finanzverwaltung in die Lage versetzt, sehr frühzeitig – regelmäßig vor Beginn der den jeweiligen Veranlagungszeitraum betreffenden Betriebsprüfung – Kenntnis über eine (potenzielle) Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3b zu erlangen. Dies spricht dafür, dass der Funktionsverlagerungsbesteuerung in Betriebsprüfungen künftig wohl ein größeres Gewicht zukommen wird.
Rz. 1320– 2600
frei