Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Ein Steuerpflichtiger, der bewirkt, dass die Rückzahlung von Einnahmen entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vom Finanzamt bereits im Jahr der Überzahlung einkommensteuerlich berücksichtigt wird, handelt widersprüchlich und damit treuwidrig, wenn er die Rückzahlung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Leistung nochmals einkünftemindernd geltend macht.
2. Der Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im Steuerrecht gilt, verbietet es den Beteiligten eines Steuerrechtsverhältnisses, widersprüchlich zu verfahren und hieraus steuerliche Vorteile zu ziehen (Verbot des "venire contra factum proprium").
Normenkette
§ 11 Abs. 2 EStG; § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO; § 242 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin war 1998 bis einschließlich Februar angestellte Geschäftsführerin einer GmbH. Der Arbeitslohn dafür betrug 39 142 DM. Für März bis Dezember 1998 zahlte die GmbH weiter ein Gehalt von 118 000 DM, obgleich die Klägerin insoweit keinen Gehaltsanspruch hatte. Das FA legte der Steuerfestsetzung für 1998 Einkünfte von 39 142 DM zugrunde und setzte die ESt 1998 entsprechend fest. Mit auf § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO gestütztem Änderungsbescheid erhöhte das FA die ESt für 1998 auf 39 455 DM, um das weitere Gehalt von 118 000 DM zu berücksichtigen.
Mit dagegen erhobener Klage machte die Klägerin geltend, das FA habe den Änderungsbescheid zu Unrecht auf § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO gestützt. Darauf erließ das FA während des Klageverfahrens einen erneut geänderten ESt-Bescheid für 1998, der wieder Einkünfte von 39 142 DM ansetzte. Die Beteiligten erklärten daraufhin übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
In der ESt-Erklärung für das Streitjahr 1999 machte die Klägerin Aufwendungen von 118 000 DM einkünftemindernd geltend. Sie habe 1998 die Zahlung von 118 000 DM ohne Rechtsgrund erhalten und den Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers durch Zahlung am 23.03.1999 getilgt.
Dem entsprach das FA im streitigen ESt-Bescheid 1999 nicht. Die Klage, die Gehaltsrückzahlung von 118 000 DM in 1999 zu berücksichtigen, hatte Erfolg (Urteil des FG Düsseldorf vom 07.11.2005, 17 K 3987/03 F, EFG 2006, 1154).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.
Hinweis
Der Besprechungsfall wäre kein "Fall" geworden, wenn die Beteiligten jeweils die einkommensteuerrechtlichen Prinzipien angewandt, insbesondere das Zufluss- und Abflussprinzip berücksichtigt hätten. Das stellt der BFH an den Ausgangspunkt seiner Entscheidung:
1. Die Rückzahlung überzahlter Einnahmen ist erst im Zeitpunkt des Abflusses (§ 11 Abs. 2 EStG) steuermindernd zu berücksichtigen (st. Rspr. BFH-Urteil vom 04.05.2006, VI R 19/03, BFH/NV 2006, 1577, BFH-PR 2006, 349).
2. Der Besprechungsfall wird zum Fall, weil das FG zu dem Ergebnis kam, dass der zweimaligen einkünftemindernden Berücksichtigung einer Gehaltsrückzahlung der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegensteht. Denn dem konnte der BFH so nicht folgen: Treu und Glauben (§ 242 BGB) sei ein in allen Rechtsgebieten allgemein anerkannter Grundsatz, mit dem insbesondere ein widersprüchliches Verhalten ("venire contra factum proprium") nicht zu vereinbaren sei. Der Steuerpflichtige müsse Nachteile gegen sich gelten lassen, wenn er sich im Besteuerungsverfahren gegenüber dem FA widersprüchlich verhalten habe. Das FG hätte auch das Verhalten der Klägerin im ESt-Festsetzungsverfahren 1998 berücksichtigen müssen. Dort könnte die Klägerin ein Verhalten gezeigt haben, das ihr Begehren, die streitige Gehaltsrückzahlung im Veranlagungszeitraum 1999 einkommensteuerlich zu berücksichtigen, als widersprüchlich und treuwidrig erscheinen lasse.
3. Der BFH hält für den zweiten Rechtsgang insbesondere folgende Aspekte für prüfungsbedürftig: Hatte die Klägerin daran mitgewirkt, dass das überzahlte Gehalt zu Unrecht im Jahr des Zuflusses nicht besteuert wurde (das hätte das FA dahin verstehen können, dass im Jahr der Gehaltsrückzahlung dies nicht nochmals geltend gemacht werde)? Könnten Klägerin und FA zusammen die Voraussetzungen geschaffen haben, dass rechtsgrundlos erlangtes Gehalt 1998 nicht besteuert wurde?
Ein mögliches, auf eine Berücksichtigung der Gehaltsrückzahlung in 1998 zielendes Zusammenwirken der Beteiligten könnte auch das Verhalten der Klägerin im Klageverfahren wegen ESt 1998 in einem anderen Licht erscheinen lassen. Zwar sei es nicht treuwidrig, die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zu bestreiten; damit sei aber erreicht worden, dass die Gehaltsüberzahlung im Jahr des Zuflusses nicht besteuert worden sei.
Die ESt-Erklärung 1999 sei auch erst dann abgegeben worden, als zwischen den Beteiligten u.U. schon Klarheit über die steuerliche Behandlung des streitigen Gehalts bestanden habe. Auch deshalb könne das Begehren, die Gehaltsrückzahlung 1999 zu berücksichtigen, treuwidrig sein. Wer im Zusammenwirken mit dem anderen Beteiligten eines Steuerrechtsverhältnisses bewusst oder unbewusst materiell fehlerhafte Steuerrechtsfolgen...