Leitsatz
1. Anerkennen und beachten der Belastete und der Begünstigte den Willen des Erblassers und führen sie dessen formunwirksam angeordnetes Verschaffungsvermächtnis aus, entsteht die Erbschaftsteuer nicht – auch nicht rückwirkend – mit dem Tod des Erblassers, sondern erst mit der Erfüllung des Vermächtnisses.
2. Der vermächtnisweise erworbene Anspruch auf Verschaffung einer Sache, die sich der Belastete mit Geldern aus dem Nachlass besorgen muss, ist mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Steuer vor 1996 oder nach 1995 entstanden ist.
Normenkette
§ 38, § 41 Abs. 1, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 9 BewG, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 ErbStG
Sachverhalt
Der 1998 verstorbene Erblasser, der zunächst testamentarisch seine Schwester (S) zur Alleinerbin eingesetzt und dem W 50.000 DM vermacht hatte, hatte noch kurz vor seinem Tod mündlich verfügt, S solle mithilfe des ihr zufallenden Kapitalvermögens dem W zusätzlich eine Eigentumswohnung im Wert von 250.000 DM bis 300.000 DM kaufen. S erfüllte diesen Erblasserwillen Ende 1999. Bereits 1998 hatte das FA gegen W die Steuer für den Erwerb des Anspruchs auf die 50.000 DM festgesetzt. Nachdem ihm die Erfüllung des formunwirksamen Verschaffungsvermächtnisses bekannt geworden war, erließ es einen nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid, durch den es die Steuer entsprechend heraufsetzte. Der Verschaffungsanspruch war dabei nicht – wie von W beantragt – mit dem Grundstückswert entsprechend § 146 BewG, sondern mit dem Kaufpreis für die Wohnung bewertet.
Das FG hielt den Bescheid mit der Einschränkung für rechtens, dass es sich um eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO handle. Mit der Revision verfolgte die Klägerseite ihr Begehren nach einer Bewertung des Verschaffungsanspruchs mit dem Grundstückswert weiter.
Entscheidung
Die Erfüllung des formunwirksamen Verschaffungsvermächtnisses hat zu einem weiteren Erwerb des W nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG geführt, für den die Steuer erst mit der Erfüllung entstanden ist. Die Steuer war daher nicht im Weg einer Änderung desjenigen Bescheids festzusetzen, der bereits bezüglich des Geldvermächtnisses ergangen war, sondern durch einen weiteren selbstständigen Bescheid. Der angefochtene Änderungsbescheid war daher aufzuheben. Für den Fall einer künftigen erstmaligen Festsetzung gab der BFH seine im 2. Leitsatz wiedergegebene Rechtsansicht zur Bewertung des Verschaffungsanspruchs des W zu erkennen. Dabei handelt es sich um ein bewusstes obiter dictum.
Hinweis
1. Bei einem formunwirksamen Vermächtnis kann sich die Frage der Steuerentstehung erst mit seiner Erfüllung stellen. Bis dahin ist es steuerrechtlich unbeachtlich. Wird es erfüllt, hängt die Beantwortung der Frage davon ab, ob die Erfüllung zurückwirkt oder nicht. Im Fall einer Rückwirkung bliebe es beim Regeltatbestand des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wonach die Steuer bei einem Erwerb von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers entsteht.
Gegen eine Rückwirkung spricht aber, dass die Erfüllung des formunwirksamen Vermächtnisses die Bedeutung eines weiteren Tatbestandsmerkmals i.S.d. § 38 AO hat. Es muss zum mündlich geäußerten Willen des Erblassers und zu dessen Tod hinzukommen, um überhaupt die Rechtsfolge der Steuerentstehung auszulösen. Ohne dieses Merkmal ließe sich nicht davon sprechen, dass "die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts" haben "eintreten" lassen, wie § 41 Abs. 1 AO es verlangt.
2. Handelt es sich bei dem formunwirksamen Vermächtnis – wie im Streitfall – um ein Verschaffungsvermächtnis mit der Besonderheit, dass dem beschwerten Erben mit dem Nachlass genügend Kapital zugefallen ist, um sich die Sache zu beschaffen, besteht kein Anlass, von der Regel abzuweichen, wonach Sachleistungsansprüche mit dem gemeinen Wert zu bewerten sind. Die für das reine Sachvermächtnis gemachte Ausnahme, wonach der vermächtnisweise erworbene Anspruch auf die Sache mit dem Steuerwert der Sache bewertet werden sollte, erfolgte nicht wegen der Verhältnisse beim Vermächtnisnehmer, sondern im Hinblick auf den beschwerten Erben. Dieser erwirbt nämlich bei einem reinen Sachvermächtnis neben der Verpflichtung, die vermachte Sache auf den Vermächtnisnehmer zu übertragen, diese Sache selbst.
Per Saldo gleichen sich dieser Aktiv- und Passivposten aus. Würde man sie dagegen unterschiedlich bewerten, nämlich die Verpflichtung mit dem gemeinen Wert und die Sache mit ihrem niedrigeren Steuerwert, beeinflusste der abweichende Steuerwert die Bereicherung des Erben im Übrigen. Das sollte nicht sein. Da aber die Bewertung auf Seiten des Erben mit derjenigen auf Seiten des Vermächtnisnehmers korrespondieren sollte, wurde auch dessen Sachleistungsanspruch nur mit dem Steuerwert der Sache bewertet.
Eine dem reinen Sachvermächtnis vergleichbare Situation ergibt sich aber bei einem Verschaffungsvermächtnis auf Seiten des beschwerten Erben zumindest dann nicht, wenn er die Sache mit Geldern aus dem Nachlass beschaffen soll oder auch nur kann. D...