Dr. Björn-Axel Dißars, Dr. Ulf-Christian Dißars
Leitsatz
Ein Vorläufigkeitsvermerk gilt fort, auch wenn er in einem Änderungsbescheid nicht mehr ausdrücklich benannt wird.
Sachverhalt
Der Kläger war Gesellschafter und Geschäftsführer einer in der Zwischenzeit insolventen GmbH, für deren Verbindlichkeiten er sich verbürgt hatte. In 2004 - vor der Insolvenz - hatte der Kläger seine Beteiligung mit Verlust veräußert, den er in seiner Einkommensteuererklärung erklärte. Das Finanzamt erkannte den Verlust zunächst dem Grunde nach an, meinte aber, der Verlust würde dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen. Das Einspruchsverfahren hiergegen wurde einvernehmlich erledigt. Wegen der möglichen Inanspruchnahme aus der Bürgschaft wurde aber dem nunmehr neuen Bescheid ein Vorläufigkeitsvermerk angefügt, da die endgültige Höhe des Veräußerungsverlusts nicht feststehe. Ferner war der Bescheid aus verschiedenen weiteren Gründen, die im Erläuterungsteil aufgeführt wurden, vorläufig. Hierbei handelte es sich allgemeine Fälle der rechtlichen Unsicherheit, vor allem hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einzelner Steuergesetze. Gegen diesen neuen Bescheid legte der Kläger wieder Einspruch ein. Das Finanzamt erließ daraufhin einen geänderten Bescheid, in den der Vorläufigkeitsvermerk zur Bürgschaft nicht mehr aufgeführt war. Im März 2010 beantragte der Kläger die Änderung des Veräußerungsverlusts, da er aus der Bürgschaft in Anspruch genommen worden sei und zudem der Verlust in voller Höhe anzuerkennen sei. Das Finanzamt lehnte dies ab, da der Vorläufigkeitsvermerk im letzten Änderungsbescheid nicht mehr aufgeführt sei.
Entscheidung
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Das Finanzamt, so das FG Münster, sei verpflichtet, die Änderungen vorzunehmen. Entgegen der Ansicht des Finanzamts sei der Vorläufigkeitsvermerk als fortbestehend anzusehen, so dass die Bürgschaftsinanspruchnahme bei der Berechnung des Verlustes anzusetzen sei. Die ursprüngliche Steuerfestsetzung sei vorläufig erfolgt, dies sei unstreitig. Der Vorläufigkeitsvermerk wirke aber auch in den Änderungsbescheiden fort. Die fehlende Wiederholung sei unschädlich. Die Nebenbestimmung wirke so lange, wie sie nicht ersetzt oder aufgehoben worden sei. Dies sei hier nicht geschehen. Auch eine konkludente Aufhebung sei nicht erfolgt. Auch im Rahmen der Änderung der übrigen Vorläufigkeitsvermerke, die maschinell gesetzt wurden, sei dies nicht geschehen.
Hinweis
Vorläufigkeitsvermerke des Finanzamts sind in nahezu jedem Steuerbescheid zu finden, so dass sie für die Praxis erhebliche Bedeutung haben. Dabei ist es aber wichtig zwischen solchen Vermerken zu unterscheiden, die maschinell gesetzt werden, weil sie eine Vielzahl von Fällen betreffen, etwa die Frage, ob eine bestimmte Norm verfassungsgemäß ist, und besonderen personell gesetzten Vorläufigkeitsvermerken, die nur einen ungewissen Sachverhalt im Einzelfall betreffen. Zutreffend kommt das FG Münster dabei zu der Ansicht, dass ein Vorläufigkeitsvermerk so lange gilt, wie er nicht aufgehoben wurde, er muss also nicht in jedem Änderungsbescheid wiederholt werden, um gültig zu bleiben. Dies ist auch die Rechtsprechung des BFH (BFH v. 9.9.1988, III R 191/84, BStBl 1989 II S. 9; BFH v. 24.4.1990, IX R 58/85, BFH/NV 1991, S. 139). Die Besonderheit des Falles, und auch da lag das Finanzgericht meiner Ansicht nach richtig, war, dass die beiden oben genannten Arten von Vorläufigkeitsvermerken getrennt zu sehen sind. Auch wenn die maschinellen Vermerke aufgehoben oder geändert werden, schlägt dies nicht auf den personellen Vermerk durch. Dies ist bei der Prüfung der Frage, ob ein Vorläufigkeitsvermerk noch besteht, stets sauber zu prüfen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 25.05.2012, 4 K 511/11 E