Leitsatz
Der Vorlagebeschluss an den Großen Senat vom 17.9.2002, IX R 68/98 (BStBl II 2003, 2) wird aufgehoben.
Normenkette
§ 108 Abs. 3 AO 1977 , § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 , § 11 Abs. 2, 3 FGO
Sachverhalt
Der Kläger erhob nach Eingang der am Donnerstag, dem 18.12.1997 zur Post gegebenen und über das Postfach des Bevollmächtigten zugegangenen Einspruchsentscheidung am 22.1. 1998 Klage. Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil die Einspruchsentscheidung gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am Sonntag, dem 21.12.1997 bekannt gegeben gelte. Auf die dagegen eingelegte Revision hat der IX. Senat des BFH dem Großen Senat die Frage vorgelegt, ob auf die Bekanntgabe nach § 122 AO die Regelung des § 108 Abs. 3 AO – mit der Folge der Rechtzeitigkeit der Klageerhebung im Streitfall – anzuwenden ist (Vorlagebeschluss vom 17.9. 2002, IX R 68/98, BFH-PR 2003, 32).
Das BMF ist dem Verfahren vor dem Großen Senat beigetreten und hat sich der Auffassung des vorlegenden Senats angeschlossen. Daraufhin haben auch die Senate, die der Abweichung von der bisherigen BFH-Rechtsprechung nicht zugestimmt hatten, ihre Zustimmung erklärt.
Entscheidung
Der IX. Senat hat den Vorlagebeschluss aufgehoben. Der Anrufungsgrund sei während der Anhängigkeit des Verfahrens beim Großen Senat (GrS 1/02) entfallen, nachdem zwischenzeitlich auch der III., der IV. und der X. Senat der Abweichung zugestimmt hätten.
Hinweis
Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
Ob diese Bekanntgabefiktion auch dann gilt, wenn der "dritte Tag" auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt oder für diesen Fall entsprechend § 108 Abs. 3 AO erst mit Ablauf des nächstfolgenden Werktags, war Gegenstand der Vorlage an den Großen Senat; sie war nach § 11 Abs. 3 FGO notwendig geworden, weil der IX. Senat die Frage in Abweichung von der bisherigen BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH, Urteil vom 9.12.1999, III R 37/97, BStBl II 2000, 175) bejahen will und die anderen Senate des BFH der beabsichtigten Rechtsprechungsänderung zumindest im Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses nicht zugestimmt hatten. Die fehlende Zustimmung ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Entscheidung des Großen Senats und muss noch im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegen; wird die Zustimmung noch vor der Entscheidung nachträglich erteilt, entfällt der Anrufungsgrund, so dass der Vorlagebeschluss aufzuheben und die vorgelegte Rechtsfrage durch den vorlegenden Senat in eigener Zuständigkeit zu entscheiden ist.
Im Hinblick darauf ist eine alsbaldige abschließende Entscheidung des IX. Senats zu der Vorlagefrage zu erwarten.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 23.9.2003, IX R 68/98