Leitsatz
1. Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und nach dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu.
2. Der Nacherbe muss in seinem Antrag angeben, welches Verhältnis zu welchem ursprünglichen Erblasser der Versteuerung zugrunde gelegt werden soll. Danach richten sich der Freibetrag und die Steuerklasse für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen.
Normenkette
§ 6 Abs. 1 und 2 ErbStG
Sachverhalt
Im Jahre 1966 verstarb der Großvater, im Jahre 1992 die Großmutter der Kläger. Die Großeltern hatten die Tante der Kläger als Vorerbin und auf deren Tod u.a. die Kläger als Nacherben eingesetzt. Die Tante verstarb im Jahr 2015 und wurde ihrerseits u.a. durch die Kläger als Miterben beerbt. Der Vater der Kläger war bereits vor der Tante verstorben. In der ErbSt-Erklärung beantragten die Kläger nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, der Versteuerung der Nacherbfälle ihr Verwandtschaftsverhältnis zu den Großeltern zugrunde zu legen.
In den ErbSt-Bescheiden gegenüber den Klägern berücksichtigte das FA Freibeträge von 400.000 EUR pro Erben. Der Auffassung der Kläger, jedem von ihnen stehe der Freibetrag zweimal zu, nämlich ein Freibetrag für jede der beiden Nacherbschaften, folgten weder das FA noch das FG (FG München, Außensenate Augsburg, Urteil vom 20.11.2019, 4 K 519/18, Haufe-Index 13626689, EFG 2020, 288).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Kläger als unbegründet zurück. Das FG habe zu Recht entschieden, dass bei der Festsetzung der ErbSt gegenüber den Klägern jeweils nur ein Freibetrag i.H.v. 400.000 EUR zu gewähren gewesen sei.
Hinweis
Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit den dem Nacherben zustehenden Freibeträgen, wenn mehrere Erblasser denselben Vorerben und nach dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt haben.
1. Zivilrechtlich erben nach §§ 2100, 2139 BGB der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser. Beerbt der Nacherbe zugleich den Vorerben, liegen zivilrechtlich zwei Erbfälle vor: Einer nach dem Erblasser und ein weiterer nach dem Vorerben.
2. Erbschaftsteuerrechtlich gilt nach § 6 Abs. 1 ErbStG der Vorerbe als Erbe. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichtigung der Beschränkungen durch das Nacherbenrecht der ErbSt.
3. Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Alle Besteuerungsmerkmale sind im Verhältnis zur Person des Vorerben – und nicht des Erblassers – anzuwenden, u.a. mit der Folge, dass für die Besteuerung des Nacherbfalls die Steuerklasse nach dem Verhältnis des Nacherben zum Vorerben und nicht zum Erblasser gilt. Auf Antrag ist der Versteuerung aber das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Der Nacherbe kann sich also die für ihn günstigere Möglichkeit aussuchen.
4. Beerbt der Nacherbe zugleich den Vorerben, handelt es sich abweichend vom Zivilrecht erbschaftsteuerrechtlich um einen einheitlichen Erwerb vom Vorerben. Ein etwaiger negativer Erwerb aus der Vorerbschaft kann daher mit einem positiven Erwerb aus der Erbeinsetzung verrechnet werden und umgekehrt.
Stellt der Nacherbe in diesem Fall den Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG und geht auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, sind beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln (§ 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Für das eigene Vermögen des Vorerben kann ein Freibetrag jedoch nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist (§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG). Die Deckelung des für das Vermögen des Vorerben geltenden Freibetrags auf den noch nicht für die Nacherbschaft verbrauchten Freibetrag bewirkt, dass der Nacherbe für den gesamten Erwerb einen Freibetrag maximal in der Höhe beanspruchen kann, die dem jeweils höheren Freibetrag entspricht. Die Steuer ist für jeden Erwerb jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde (§ 6 Abs. 2 Satz 5 ErbStG). Trotz der speziellen Regeln zur Berechnung der Steuer liegt ein einheitlicher Erwerb vor.
5. Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und auf dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt und stellt der Nacherbe den Antrag nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, steht ihm für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu, der sich nach dem Verhältnis zu demjenigen Erblasser richtet, für den es der Nacherbe beantragt. Soweit dieser nicht verbraucht ist, verbleibt ein Freibetrag für das Vermögen des Vorerben.
§ 6 ErbStG regelt dies zwar nicht ausdrücklich. Es folgt aber aus dem Regelungskonzept der Vorschrift. Beim Tod des Vorerben findet erbschaftsteuerrechtlich ein einziger Erwerbsvorgang statt. Für...